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Aussicht auf Sternschnuppen

Aussicht auf Sternschnuppen

Titel: Aussicht auf Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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sie hielt ihn sich mit zitternden Händen an den Mund und atmete gierig ein und aus. Ihr Körper begann sich zu entspannen, ihr Atem wurde regelmäßiger und ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe.
    Mittlerweile war Nils in einen Olivenhain abgebogen und hatte den Smart neben einer abgesplitterten Holzbank geparkt. Ich ließ mich erleichtert in den Sitz zurücksinken. Mein Herz schlug heftig gegen den Brustkorb und auf meiner Stirn hatte sich ein Netz aus Schweißtropfen gebildet. Gott! So etwas hatte ich noch nicht erlebt.
    Nils reichte Lydia eine Flasche Wasser herüber und die alte Frau nahm sie dankbar an.
    „Tut mir leid, dass ich Sie beunruhigt habe“, sagte Lydia nach einer Weile zerknirscht. „So etwas ist mir schon lange nicht mehr passiert. Ich habe mich wohl die letzten Tage ein wenig übernommen.“
    „Haben Sie Asthma?“, fragte Nils.
    „Nein, ein schwaches Herz. Vor fünf Monaten hätte es mich fast im Stich gelassen. Bin dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen. Aber seitdem ich eine künstliche Herzklappe eingesetzt bekommen habe, geht es mir wieder besser.“
    „Sie sind vor fünf Monaten fast gestorben?“, wiederholte ich entsetzt.
    „Ja. An einem Lungenödem. Kam ziemlich überraschend für mich. Ich dachte immer, ich hätte die Konstitution eines Ackergauls. Meine Eltern hatten Landwirtschaft und unsere Gäule sind immer steinalt geworden, waren nie krank“, fügte Lydia erklärend hinzu. „Aber lassen wir dieses unerfreuliche Thema.“ Sie hatte ihren herrischen Tonfall wiedergefunden.
    Nils drehte sich zu mir um. „Ich weiß, dass ich versprochen habe, durchzufahren. Aber ich muss ein wenig Sauerstoff tanken, sonst fallen mir die Augen zu. Ich habe heute Nacht nämlich nicht besonders gut geschlafen.“ Er lächelte süffisant.
    Ich sah ihn zweifelnd an. „Sauerstoff tanken? Wirklich nicht mehr?“
    „Keine Sorge. Ich gehe bestimmt nicht heimlich rauchen.“ Nils wandte sich an Lydia. „Sie ist immer so streng mit mir.“ Dann öffnete er die Fahrertür und stieg aus.
    Ich begann Lydias Tasche einzuräumen. Dabei fiel mir das Foto der jungen Frau in die Hände.
    „Ist das Ihre Tochter?“, fragte ich und Lydia nickte.
    „Das ist Sonja, als sie Anfang 20 war.“ Ihr Gesicht wurde weich. „Wegen ihr war ich in München. Wir haben uns seit über 30 Jahren nicht gesehen. Sie ist mittlerweile selbst schon sechzig, hat eine Tochter und mehrere Enkelkinder.“
    „Aber warum haben sie Sonja in all den Jahren nicht besucht? Wollten Sie Ihre Enkelkinder denn nicht kennen lernen.“ Ich war verblüfft.
    „Nachdem mein Mann Hansi gestorben war, haben wir uns gestritten. Danach hat sie den Kontakt zu mir abgebrochen. Sie war immer mehr seine Tochter gewesen als meine.“
    „Aber warum? Was haben Sie schlimmes getan?“
    „Ach, das ist eine lange Geschichte. Wollen Sie sie hören?“
    Ich nickte.
    „Lassen Sie uns spazieren gehen, dann erzähle ich sie Ihnen.“

    Langsam folgten Lydia und ich Nils in das Olivenwäldchen. Grillen zirpten, die Sonne schien mir auf den Rücken und die Luft roch nach Wärme und irgendwelchen Kräutern. Nachdem wir einige Minuten gegangen waren, setzten wir uns auf eine Steinmauer. Nils stand ein wenig abseits von uns und telefonierte.
    „Die ganze Geschichte begann kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges“, begann Lydia. „Auf einem Dorffest lernte ich Hansi kennen. Er wohnte zwei Dörfer weiter und war der Sohn des Bürgermeisters. Wir heirateten und noch im gleichen Jahr wurde Sonja geboren. Alles war wunderbar, doch dann kam der Krieg und Hansi musste an die Front. So wie fast alle Männer aus Dill, so heißt der Ort, in dem ich wohne. Zurück blieben nur die Alten und Kranken und die Frauen. Als der Krieg weiter fortschritt, kamen auch einige Zwangsarbeiter, die die Frauen bei ihrer Arbeit auf den Höfen unterstützen sollten. Den Beziehungen meines Schwiegervaters zum NS-Regime hatten Sonja und ich es zu verdanken, dass wir einen dieser Arbeiter zugewiesen bekamen. Er hieß Lorenzo und war Italiener.“
    „Aber waren die Italiener nicht Bündnisgenossen der Deutschen?“, warf ich ein. „Ich dachte immer, Zwangsarbeiter seien aus Frankreich oder Russland gekommen.“
    „Kamen sie auch. Bis Italien 1943 nach dem Sturz Mussolinis aus dem Bündnis ausschied. Die meisten italienischen Soldaten weigerten sich, an Deutschlands Seite weiterzukämpfen und wurden in Kriegsgefangenenlager transportiert, von wo sie dann verschiedenen

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