Aussicht auf Sternschnuppen
und bekam 200 Sozialstunden aufgebrummt. Ich habe sie in einem Förderprojekt am Hasenbergl in München abgeleistet. Das Projekt heißt Lichttaler.“
„Lichttaler – wie schön.“ Ich lauschte dem Klang des Wortes nach. „Worum geht es in dem Projekt?“
„Kinder und Jugendliche bringen sich gegenseitig Dinge bei, die sie besonders gut können, wie zum Beispiel Breakdance und Gitarre spielen, oder sie bieten Nachhilfe an. Und dafür bekommen sie Lichttaler geschenkt. Und die können sie dann bei anderen Kindern zum Beispiel gegen Schlagzeugunterricht oder etwas Ähnliches einlösen. Ich habe die Schauspielgruppe betreut.“
„Und warum durfte dein kleines Drogenabenteuer nicht an die Presse dringen? Stars aus Hollywood werden doch ständig zugedröhnt fotografiert?“
„Es ist etwas anderes, ob du in Deutschland oder in den USA mit Drogen erwischt wirst. Was bei Charlie Sheen cool ist, kommt in Deutschland nicht gut an. Und schon gar nicht, wenn du der Sohn von Katharina und Bernd Schöneberger bist, die seit 40 Jahren damit beschäftigt sind, ihren untadeligen Ruf aufrechtzuhalten.“ Nils machte eine kleine Pause. Dann fuhr er fort: „Mein Vater hat mir nach meiner Festnahme die Rolle in der Toskana-Serie beschafft. Als letzte Chance … Wenn ich die verpatze, ist der Geldhahn zu.“
„Unverschämt von ihm, dich mit Mitte 30 nicht mehr unterstützen zu wollen“, sagte ich sarkastisch.
Doch Nils zuckte nur mit den Schultern. „Hätten meine Eltern zugelassen, dass ich etwas Anständiges lerne und mich zu etwas mehr Sparsamkeit erzogen, würde ich ihnen jetzt nicht auf der Tasche liegen.“
„Warum bist du eigentlich so schlecht auf sie zu sprechen?“ Vielleicht musste das Thema doch einmal auf den Tisch gebracht werden. Es schien Nils ja nicht loszulassen.
„Ich habe nichts gegen meine Eltern, sie gehen mir die meiste Zeit nur ziemlich auf die Nerven“, antwortete er abwehrend.
„Was machen sie denn so schlimmes?“, harkte ich nach.
„Nichts. Das ist es ja. Ich habe sie in meinem Leben nicht besonders oft zu sehen bekommen. Auch als Kind nicht. Und wenn, dann wurde ich als Wohnungsaccessoire für Home-Stories hübsch auf einer Couch drapiert.“ Seine Stimme klang bitter. „Hast du jemals die Buttermilch-Werbung mit Gerd Müller gesehen?“
„War das die Werbung mit dem kleinen, pummligen Kind, das so etwas Ähnliches gesagt hat wie Ich trinke Müllermilch, weil ich genauso viele Tore schießen will wie der da! und dann ist die Kamera auf Gerd Müller geschwenkt?“
Nils nickte.
„Und das kleine Kind warst du?“ Gegen meinen Willen war ich beeindruckt.
„Ja. Und ich musste bestimmt zwanzig Mal hintereinander ein ganzes Glas von dem Zeug austrinken, bis die Einstellung im Kasten war. Danach habe ich mich übergeben. Meine Mutter hat während des gesamten Drehs seelenruhig daneben gesessen. Noch heute kann ich Buttermilch nicht einmal riechen, ohne dass mir schlecht wird.“
Auf einmal erschien mir meine eigene Mutter gar nicht mehr so übel. Sie mochte ihre Macken haben, aber sie hätte niemals tatenlos zugesehen, wie ich mir eine Buttermilchvergiftung zuzog.
Nils fuhr fort: „Direkt nach der Schule haben sie mich auf die Schauspielschule gesteckt und die Prüfungskommission mit einer großzügigen Spende bestochen, damit ich trotz meiner miesen Leistungen bei der Aufnahmeprüfung genommen wurde. Und wahrscheinlich haben sie auch während der gesamten Ausbildungszeit ihre Bestechungsgelder fließen lassen. Dabei wollte ich nie Schauspieler werden. Schon als Kind habe ich Rollenspiele gehasst. Ich war nie Cowboy oder Pirat, sondern immer nur ich selbst.“
„Es ist ja nicht so, dass Schauspieler der einzige Beruf auf dieser Welt ist. Du hättest etwas anderes machen können.“
„Was denn? Ich habe nie etwas anderes gelernt.“
„Welchen Beruf würdest du denn gerne ausüben, wenn du nicht in diesem starren Schauspielerkorsett gefangen wärst?“
Nils ignorierte die beißende Ironie in meiner Stimme und antwortete: „Ich würde gerne hinter der Kamera arbeiten. Vielleicht selbst einen Film drehen oder zumindest ihn produzieren. Vielleicht mit den Kids vom Hasenbergl. Einige von ihnen waren gute Schauspieler.“
„Dann mach das doch!“
Nils schüttelte den Kopf. „Und von was soll ich diesen Film bezahlen? Du hast es doch gehört: Ohne den Toskanajob ist der Geldhahn zu! Und da fragst du mich, warum ich meine Eltern nicht mag.“
Sein Selbstmitleid ging mir auf
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