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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Silk glaubte, er höre ihm zu. Das war das Mindeste, was man füreinander tun konnte.
    Dann sah er den ersten Schwall schwarzen Rauchs und eine rote Stichflamme von den Geschützen des französischen Kriegsschiffs gegenüber, und er spürte, wie die Resolution erbebte und dröhnte, als ihre eigenen Kanonen antworteten.
    Das Feuern, das Nachladen, das Stopfen mit dem Ladestock, das Füllen der Pulverpfanne, das erneute Abdrücken – all das war ihm vertraut, weil es so oft geübt worden war. In der Theorie war es eine saubere Sache: Man drückte ab und ließ sich anschließend gemächlich auf ein Knie sinken, um die Muskete nachzuladen. Das, was auf der Resolution geschah, war jedoch etwas völlig anderes.
    Im Nachhinein dachte Rooke, sie hätten es sich eigentlich ausrechnen können, dass sich das Deck in ein Durcheinander aus Schreien und Rauchwolken verwandeln würde, weil sie – dies war niemals Teil ihrer Übungen gewesen – nicht nur schossen, sondern auch beschossen wurden.
    Hinter sich hörte er einen Laut, halb Stöhnen, halb Grunzen. Er drehte sich jedoch nicht um, um nachzusehen, denn so hatte man es ihnen eingebläut: Niemals die Linie verlassen. Irgendwo weiter vorne in Richtung Bug stieß ein Mann schrille, abgehackte Laute aus.
    Blindlings führte Rooke die aufeinanderfolgenden Handgriffe des Nachladens, Stopfens und Aufschüttens des Pulvers aus. Trat an die Reling und feuerte über das Wasser in Richtung des Rauchs, trat zurück und tastete mit gesenktem Kopf nach dem Pulverbeutel. Die Schreie verdrängte er mit aller Macht, gehorchte nur dem Gesetz seines Berufs, während die Muskete in seiner Hand ihrerseits dem Gesetz ihrer Funktionsweise gehorchte: Der Flintstein schlug gegen den Batteriedeckel, das Pulver entflammte, und die Kugel wurde mit einem Schwall aus Flammen und Rauch aus dem Lauf getrieben.
    Über das Getöse der Musketen und das dumpfe Donnern der Kanonen hinweg hörte Rooke oben in der Takelage ein gedehntes Splittern und sah gleich darauf, wie das Ende eines Taues zuckend in seine Richtung schnellte. Er duckte sich, um ihm auszuweichen, doch es peitschte ihm ans Ohr, und während er zu Boden fiel, sah er, wie ein großer Segeltuchklumpen heruntersackte und die beiden Männer links von ihm unter sich begrub. Als er sich gerade wieder aufrappeln wollte, wurde er urplötzlich von einer gewaltigen Druckwelle, bei der ihm Hören und Sehen verging, seitwärts geschleudert. Ihre Wucht war so groß, dass er nichts anderes mehr wahrnahm und sich alles auf diesen blinden Wirbelsturm reduzierte. Das muss der Tod sein , dachte Rooke. Genauso klingt der Tod.
    Doch er war nicht tot und merkte, dass er wieder auf den Beinen stand. Als er sich suchend nach Silk umsah, fiel sein Blick auf ein Bild, das sich wie ein Fleck in sein betäubtes Hirn saugte: Der Gefreite Truby, wie er dicht hinter ihm auf dem Boden lag, seine untere Körperhälfte eine formlose, glänzend rote Masse mit perlmutterartig schillernder Oberfläche, aus der etwas dunkel Leuchtendes und Dampfendes herausquoll. Truby, wie er sich aufzurichten versuchte, dabei die Hände aufs Deck stemmte und an sich hinunterblickte, um nachzusehen, weshalb er nicht auf die Beine kam. Wieder und wieder versuchte er, sich vom Boden wegzudrücken, als könnte er nicht fassen, dass da unten kein Körper mehr war, sondern nur noch dieses heillose Durcheinander aus Fleisch und Eingeweiden, das ihn am Deck festleimte.
    Auch Silk starrte zu Truby hin, die Miene ausdruckslos wie die eines Schlafenden. Sein Ärmel hing in Fetzen herunter, Blut lief über seinen Arm und tropfte von den Fingerspitzen. Und zwischen Rooke und Silk fuhr der Gefreite Truby unermüdlich fort, sich mit den Händen hochzudrücken, ein schrecklich verständnisloses Lächeln auf dem Gesicht.
    ✳
    Rooke hatte keinerlei Erinnerung an die Spiere, die auf ihn gestürzt war und ihm einen so heftigen Schlag auf den Kopf versetzt hatte, dass er das Bewusstsein verlor. Sie haben Glück, dass Sie noch leben , sagten sie Wochen später im Krankenhaus von Portsmouth zu ihm, doch er selbst fand, der Tod wäre besser gewesen als die Schmerzen in seinem Kopf, die so stark waren, dass ihm immer wieder schwarz vor Augen wurde und sich ihm der Magen umdrehte.
    Oder war das auf die Erinnerungen an das zurückzuführen, was am fünften Tag des Septembers des Jahres 1781 auf dem Deck der Resolution geschehen war?
    Während seiner monatelangen Genesungszeit saß Anne Stunde um Stunde an seinem Bett

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