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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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gehalten. Diese Aussicht bot ihm die Chance, seine Intelligenz zu gebrauchen, mit der er gesegnet worden war. Damals hätte er es für ganz selbstverständlich gehalten, ein Teil des geölten Getriebes dieser harmonisch ineinandergreifenden Maschinerie zu sein.
    Nun aber traute er dieser Maschinerie nicht mehr. Er glaubte auch nicht, dass er es jemals wieder tun würde. Das Leben mochte Versprechungen machen, doch mittlerweile wusste er, dass es nicht nur gab, sondern auch nahm.
    Selbstverständlich würde er nach New South Wales gehen. In einem Winkel tief in seinem Inneren, wo noch immer ein Funken Wissbegierde glimmte, freute er sich sogar darauf. Er kaufte sich Notizbücher und Kontorbücher und verspürte zum ersten Mal seit langem wieder ein freudiges Gefühl, als er mit der Hand über die leeren Seiten strich, die er mit den Daten dieses unbekannten Landes füllen würde: über das Wetter, die Sterne, vielleicht auch die Vierfüßer und sogar die Behausungen der Ameisen .
    Am selben Tag wie Dr. Vickerys Schreiben traf ein Brief von Silk ein, in dem er seinen Freund beschwor, sich freiwillig zu melden. Zwischen den Zeilen des Briefes spürte Rooke das neue Leben, das diese unerwartete Gelegenheit seinem Freund eingehaucht hatte. Silk selbst hatte sich bereits freiwillig gemeldet und war auch schon befördert worden. Oberleutnant Silk war nun Hauptmann Silk. Doch der Dienstgrad war inzwischen offenbar nicht mehr der Maßstab dessen, worum es ihm ging. Mr. Debrett, Buchhändler vom Piccadilly, London, hat es mir zugesichert , schrieb Silk. »Alles was Sie uns über New South Wales liefern können, werden wir veröffentlichen.« Das waren seine Worte, und ich gedenke ihn nicht zu enttäuschen!
    Rooke erkannte, dass Silk in seinem Herzen genauso wenig Soldat war wie er selbst. Auch er war auf der Stelle getreten und hatte auf eine Gelegenheit gewartet, seiner inneren Berufung folgen zu können. Rooke wurde nun klar, dass Silk die Geschichten in der Offiziersmesse nicht nur erzählt hatte, um seine Kameraden zu unterhalten. Silk ging es in erster Linie um das Ausarbeiten der Geschichte – den geschliffenen Ausdruck, das Feilen an ihrer Form. Das Talent, ein Ereignis so umzuarbeiten, dass das Erzählte fast realer wurde als die Wirklichkeit – genau das war Silk so angeboren wie Rooke die Freude am Umgang mit Zahlen.
    Ein Nein als Antwort werde ich nicht akzeptieren , schrieb Silk.
    ✳
    Anne besaß noch immer den Globus, den Rooke im Alter von vierzehn Jahren gebastelt hatte. Er war zwar verstaubt und irgendetwas war auf Südamerika gespritzt, aber er drehte sich noch.
    »Der Abendhimmel ist dort anders als hier«, erklärte ihr Rooke. »Siehst du, wie die Erdachse geneigt ist? Ich werde dort Sterne sehen, die wir von hier aus niemals sehen können.«
    Rooke sah, dass seine Schwester die Sache gründlich durchdachte.
    »Und den Mond? Wirst du den dort sehen können? Bloß verkehrt herum?«
    Er spürte, dass sie unsicher war und Angst hatte, ihn mit ihrer Dummheit zu enttäuschen. Anne war nicht dumm, sondern nur klug genug zu erkennen, wo ihre Grenzen lagen.
    Draußen regnete es sachte weiter, ein so leises Geräusch, dass man es bewusst fast nicht mehr wahrnahm. Rooke stand auf und stellte sich hinter seine Schwester, legte die Hände auf ihre Schultern und spürte ihre Wärme an seiner Brust. Sie drehte den wackligen kleinen Globus unablässig im Kreis herum.
    »Ich werde jeden Abend den Mond betrachten«, sagte sie, »und mir vorstellen, dass du ihn auch betrachtest.«
    Ihre Miene verriet ihm, dass ihr gerade ein lustiger Gedanke gekommen war, als sie sich dann umdrehte und zu ihm hochsah.
    »Damit ich ihn genauso sehen kann wie du, werde ich mich natürlich auf den Kopf stellen müssen, aber das, geschätzter Bruder, nehme ich gerne in Kauf!«
    Als er zum ersten Mal seit langem wieder die rote Jacke hervorholte, stieg eine Woge der Übelkeit in ihm hoch. In dem Gewebe nahm er noch seinen Angstschweiß wahr, meinte sogar das Schießpulver riechen zu können. Trotzdem zog er sie an – eine neue Jacke wäre ein zu großer Luxus gewesen – und sog tief die Luft ein, um seine Nase daran zu gewöhnen, dass er wieder Soldat war.
    Er war dem Tod nur knapp entronnen. Um Haaresbreite, hatte man ihm gesagt. Aber er hatte überlebt und nun dieses Angebot bekommen. Wenn er auch noch nicht wusste, was das bedeuten mochte, so war er doch bereit zu akzeptieren, dass dies die Umlaufbahn war, auf der sich sein Leben

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