Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
beiden ein paarmal von ihren Ponys gefallen, aber der weiche Schnee auf dem federnden hohen Gras hatte alle Stürze abgefangen, und inzwischen konnten Tilly und Meg auch lange Strecken angstlos reiten. Vor allem Tilly hatte sich gewandelt, seit sie sich so intensiv mit ihrem Pony beschäftigte. Immer seltener sprach sie von ihrem Vater; stattdessen schien sie in sich selbst zu ruhen.
Auf den Lichtungen hielten sie an, um die Berggipfel rundum zu studieren und um die Wolken zu beobachten, die wie breite Wasserfälle die Hänge herabstürzten und ihnen irgendwann die Sicht nehmen würden. An manchen Tagen war es absolut still, an anderen, wilderen Tagen peitschte ein eisiger Wind die Schweife der Pferde durch die Luft und zerrte den Reiterinnen die Hüte von den Köpfen. Meistens wechselten Himmel und Hölle ab, weil sich das Wetter ständig in Windeseile änderte.
Sie hatten sich Tücher vors Gesicht gebunden, damit die beißende Kälte nicht in ihre Lungen dringen konnte. Emily hatte einen Rucksack mit Proviant und ihre Cattleman-Ausrüstung mitgenommen, die sie an ihren Packsattel gebunden hatte.
Zurzeit bildete sie Bonus zum Packpferd aus. Schließlich sollte er die unterschiedlichsten Aufgaben übernehmen können. Dafür hatte sie ihm die alten Satteltaschen ihres Großvaters aufgebunden und gleichmäßig zu beiden Seiten beladen. In den Taschen lagen eine Kettensäge – nicht so groß, als dass sie wirklich störte, aber groß genug, um alle Äste zu zersägen, die womöglich über einen Zaun gefallen waren. Außerdem hatte sie ein paar Meter Zugdraht, eine Drahtzange, Eisenklammern, einen Hammer, eine Ratsche, eine kleine Schaufel und einen Drahtspanner mitgenommen. Bonus, der von Natur aus sehr ausgeglichen war, hatte sich widerspruchslos in seinen neuen Job gefügt und folgte Snowgum glücklich und zufrieden am Ende eines Führungsseiles. Falls sich eine der Taschen im Geäst verfing, scheute er nicht, sondern blieb einfach stehen und wartete geduldig ab, bis Emily zurückkam und ihn befreite. Obwohl das Pferd sie ständig an Luke erinnerte, schloss Emily es auf ihren Ritten über die schneebedeckten Berggipfel immer mehr ins Herz.
Einige der Zäune, die sie bei ihren Ritten überprüfte, umschlossen das kleine private Weidegebiet der Flanaghans, aber die meisten Zäune verliefen zwischen Weiden, die mittlerweile im Nationalpark lagen. Ein Großteil des Landes war niemals eingezäunt worden, es stand also einiges an Arbeit an, wenn Emily und ihre Familie aus nostalgischen Gefühlen eine kleine Herde auf ihren eigenen Weiden und in den nicht geschützten staatlichen Waldgebieten rund um ihre Farm halten wollten.
Als sie den Weg über den Long Spur erreichten, sah Emily, dass der Schnee hier vergleichsweise tief lag. Sie zeigte den Mädchen die Skigebiete am Mount Hotham und an der Dinner Plain in der Bergkette gegenüber. Ameisenhafte Skifahrer webten dort als winzige schwarze Punkte ihre Wege kreuz und quer über den Hang und schnitten durch den weißen Schnee. Am Ende des Skitages würden die Feriengäste in Richtung Dusche, Bar, Restaurant oder Club abziehen oder auch nur den Fernseher einschalten oder im Internet surfen.
Emily konnte kaum glauben, dass sie von hier aus auf diese hoch technisierte »Zivilisation« blicken konnte. Die Stille hier stand in absolutem Kontrast zu dem geschäftigen Treiben auf den Skipisten.
Sie saß hier auf ihrem Pferd neben ihren Töchtern auf einem Landabschnitt, der nach hundertfünfzig Jahren kontrollierter Beweidung immer noch gut erhalten war. Diese Stelle war einer ihrer Lieblingsflecken und ein besonders schöner Vesperplatz, wenn sie die Kühe zusammentrieben … solange man über die Skidörfer und Sende- und Strommasten hinwegsah, die sich an den Bergen gegenüber immer tiefer in die Hänge fraßen.
Der Long Spur führte an einer majestätischen Felswand entlang, die in das mit wildem Buschland bewachsene Tal Devil’s Hollow abfiel. Emily wollte es einfach nicht in den Kopf, dass man ihre Familie mit ihren Rindern aus diesem Gebiet vertrieben hatte, während am Berg gegenüber Tausende von Skifahrern die Landschaft nach Herzenslust verunstalten durften.
Sie hatte nichts gegen die Skifahrer, ihr Zorn galt den Bauunternehmern, die von dieser Landschaftsausbeutung profitierten. Wenn sie die Schwärme von Skifahrern, die dort über die Hänge kreuzten, und die Skidörfer mit ihren in der Sonne glänzenden Dächern betrachtete, von wo aus hektoliterweise
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