Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
sich und sah Rousie unter dem Pferdeanhänger liegen. Er hatte die Ohren angelegt und sah elend aus.
»Komm schon, Junge«, sagte sie. Den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt kam er angeschlichen. Sie machte ihn von der Leine los und nahm ihn mit ins Zelt.
»Kuschelt mit ihm, Mädchen«, sagte sie zu Meg und Tilly.
»Kann ich ihn in meinen Schlafsack stecken, Mum?«, wollte Tilly wissen.
»Lieber nicht. Aber du kannst ihn in ein Handtuch wickeln. Das gefällt ihm bestimmt.« Sie musste gegen den Wind anschreien, der in den Wipfeln beiderseits des Tales tobte. »Luke und ich sichern nur schnell das Zelt, dann kommen wir wieder rein.«
Aber die Mädchen antworteten nicht. Sie boten Rousie bereits einen Müsliriegel an und steckten ihn in Megs Winnie-Poo-Mantel mit der Pelzkapuze. Er wirkte sehr zufrieden mit sich.
Auf einmal schoss der Regen wie aus einem Feuerwehrschlauch herunter und hatte alles innerhalb weniger Sekunden durchnässt. Um sie herum rannten die Menschen hierhin und dahin, doch Emily und Luke standen in dem tropischen Guss und hielten sich fest in den Armen. Sie sahen zum Himmel auf. Die Regentropfen fielen in ihre lachenden Münder, und der angenehm warme Wind gab ihnen das Gefühl, lebendig zu sein.
Sie küssten sich. Emily spürte, wie dankbar sie für diesen Mann in ihren Armen war. Für seine unerschütterliche Energie, seinen Kampfgeist, sein Wissen um die Weisheit der Natur. Er gehörte in die Berge, genau wie sie. Sie ließ den Kopf an seine Brust sinken, lauschte dem ruhigen Schlag seines Herzens und begriff, dass ihre Liebe für die Ewigkeit geschaffen war.
Als sich die Wolken ein paar Stunden später verzogen hatten und sich die Sterne in hellen Schwaden über den Gebirgshimmel verteilten, sah Emily wieder zum Himmel auf, während sie mit Luke zu Sams Musik tanzte, der mit seiner Band auf dem Auflieger eines Sattelschleppers spielte. Über ihnen tanzten die Motten im Licht der generatorgetriebenen Scheinwerfer, mit denen die Freiluftbar auf dem Hügel beleuchtet wurde. Die Menschen standen eng gedrängt vor der provisorischen Bühne. Clancy saß unter den Lichtern und schob den Doppelkinderwagen vor und zurück, während Penny im kürzesten Minirock aller Zeiten lachend mit einer Gruppe von Krankenschwestern plauderte. Emily musste an das letzte Mountain Cattlemen’s Get-together denken und schüttelte sich. Seither war sie im wahrsten Sinn des Wortes durchs Feuer gegangen. Jetzt war sie hier mit Luke, ihren Töchtern, Bridie, Rod, Bob, Flo und Baz. Alle wiegten sich zu Sams Musik, der in seinen neuen Songs die Cattlemen und ihr Leben in den Bergen aufleben ließ.
Die Flanaghans stampften in der wild feiernden Menge am energischsten mit den Stiefeln auf und sangen am lautesten mit. Aus dem wogenden Durcheinander von Tänzern sah Emily zu ihrem Bruder auf. Im Scheinwerferlicht wirkte er wie das Sinnbild eines coolen Countrystars. Ganz vorn drängten sich ein paar junge Mädchen und schrien immer wieder seinen Namen, aber am Bühnenrand stand Bridie, eine Hand lag auf ihrem dicken Bauch. Seit sie schwanger war, strahlte ihre Schönheit noch intensiver. Ab und zu sah Sam zu ihr hin und schenkte ihr ein kurzes Zwinkern oder Lächeln. Neben Bridie stand Bob mit seinem Headset, stets bereit, von der Bühne zu springen und sich um die Elektronik zu kümmern. Er zeigte Emily den erhobenen Daumen, und sie erwiderte die Geste.
Gleich darauf wirbelte Luke Emily herum, und sie sah in seine leuchtenden Augen. Er nickte zur Seite, und beide verfolgten grinsend, wie sich Baz leicht schwankend und trunken vor Flo auf ein Knie niederließ und ihr einen Plastikring aus einem Sixpack Bierflaschen auf den Finger schob.
Dann sah Emily Rod mit seinen Enkelinnen tanzen. Zufriedenes Lachen stand in ihren Gesichtern. Zusammen verkörperten die drei Vergangenheit und Zukunft der Berge.
Emily sah zu den Sternen auf und dachte an die beiden Menschen, die ihr heute Nacht bestimmt zusahen: Evie und Suzie. Sie sah den hellsten Stern funkeln und begriff auf einmal, dass sie in Wahrheit ein und dieselbe Person waren. Die Verschmelzung zweier Seelen. Ihr Schutzengel, ihre Mutter, war in Gestalt von Evie auf die Erde zurückgekehrt.
Als Sams Lied endete und die Menge jubelnd applaudierte, fühlte Emily, wie sie von einer Woge reinster Freude über das Wunder und Mysterium des Lebens fortgetragen wurde. Sie dankte den Sternen, dass sie bei dem Pferderennen vor so vielen Monaten dem Tod ins Antlitz gesehen
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