Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
entstammst wie er dem königlichen Geschlecht von Avalon. Hätte ich dich einem Geringeren geben können? Und wer sonst wäre des künftigen Großkönigs würdig gewesen?«
»Ich habe Euch geglaubt… ich glaubte, es sei das Werk der Göttin…«
»Das war es«, entgegnete Viviane sanft, ohne zu begreifen, »aber trotzdem konnte ich dich niemandem geben, der deiner unwürdig gewesen wäre, Morgaine.« Und zärtlich fügte sie hinzu: »Er war so jung, als man euch trennte… ich glaubte, er würde dich nicht erkennen. Ich bedaure, daß du ihn erkannt hast, aber früher oder später hättest du es doch erfahren. Er hätte es nicht wissen müssen.«
Morgaine unterdrückte ihren Zorn mit aller Macht: »Er weiß es bereits. Er weiß es. Und ich glaube, ihn hat es noch mehr entsetzt als mich.«
Viviane seufzte. »Wir können nichts mehr dagegen tun. Was geschehen ist, ist geschehen. Und jetzt ist die Hoffnung Britanniens wichtiger als eure Gefühle.«
Morgaine wandte sich ab und ging hinaus. Sie wollte nichts mehr hören.
17
Der Mond zeigte sich nicht am Himmel. Dann, so sagte man den jungen Priesterinnen im Haus der Jungfrauen, verschleiert die Göttin ihr Gesicht vor den Menschen und holt sich Rat in den Himmeln und bei den Göttern, die hinter den Göttern stehen, die wir kennen.
Auch Viviane zog sich vor dem Neumond in die Abgeschiedenheit zurück; zwei junge Priesterinnen bewachten ihre Einsamkeit. Den größten Teil des Tages verbrachte sie im Bett und dachte mit geschlossenen Augen darüber nach, ob es vielleicht doch stimmte, was Morgaine von ihr hielt. War sie wirklich machthungrig und glaubte, alles stünde unter ihrem Befehl, damit sie nach Gutdünken damit spielen konnte?
Was habe ich denn getan?
dachte sie.
Ich habe dieses Land vor Raub und Zerstörung gerettet. Ich habe es davor bewahrt, in das Vorzeitige zurückzufallen und eine Plünderung verhütet, die schlimmer gewesen wäre als alles, was Rom unter den Goten erleiden mußte.
Sie hätte gern Morgaine rufen lassen; sie sehnte sich nach der alten Vertrautheit. Wenn das Mädchen sie wirklich hassen sollte, wäre das der höchste Preis, den sie je für eine ihrer Taten zu bezahlen hatte.
Morgaine war der einzige Mensch, den Vivian wirklich liebte.
Sie ist die Tochter, die ich der Göttin schulde… Aber was geschehen ist, ist geschehen. Es kann nicht rückgängig gemacht werden. Das königliche Geschlecht von Avalon durfte nicht durch das Blut einer Geringeren entehrt werden.
Traurig hoffte die Herrin vom See, daß Morgaine sie eines Tages verstehen würde. Aber wie auch immer, Viviane wußte, sie hatte getan, was sie tun mußte, und nicht mehr. Sie schlief wenig in dieser Nacht, glitt in wirre Träume und Visionen, dachte an die Söhne, die sich von ihr abgewendet hatten, an die andere Welt draußen, in die der junge Artus an der Seite des Merlin zurückgekehrt war.
Erreichte er seinen sterbenden Vater noch zur rechten Zeit? Uther Pendragon lag nun schon seit sechs Wochen krank in Caerleon; es schien unwahrscheinlich, daß er noch sehr viel länger leben würde.
Noch vor dem Morgengrauen stand sie auf und kleidete sich so geräuschlos an, daß sie keine der Priesterinnen weckte. Schlief Morgaine im Haus der Jungfrauen, oder lag auch sie mit schwerem Herzen wach und weinte? Morgaine hatte noch nie geweint; ihre Tränen waren erst geflossen, als Kevins Harfe ihr Herz anrührte. Aber auch dann hatte sie sie hinter ihrem Schleier verborgen.
Was geschehen ist, ist geschehen. Ich kann sie nicht schonen. Aber ich wünsche aus ganzem Herzen, es hätte einen anderen Weg gegeben …
Leise ging sie in den Garten hinter ihrem Haus. Die Vögel erwachten, und zart duftende Apfelblüten fielen von den Bäumen, die der Insel ihren Namen gegeben hatten.
Sie werden Früchte tragen, wenn die Zeit dafür gekommen ist, und so wird das heranreifen, was ich jetzt tue. Ich werde weder Blüten noch Früchte tragen. Ich bin alt; manchmal versagt sich mir sogar das Gesicht… das Gesicht, das mir gegeben ist, um dieses Land zu lenken.
Ihre Mutter war nicht so bejahrt. Die Zeit würde bald kommen, da sie ihre Bürde und das heilige Amt niederlegen und die Regentschaft der nächsten Herrin von Avalon zu übergeben hatte. Dann würde sie als Weise Frau oder Todesbotin hinter ihr im Schatten stehen.
Morgaine ist noch nicht bereit. Sie lebt immer noch in der Zeit der anderen Welt. Sie kann noch zittern und weinen um das, was unvermeidbar ist.
Viviane ließ die jungen und
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