Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Halsband wiederhaben, mein Gemahl?«
Mit finsterer Miene gab ihr Gorlois den Mondstein. »In meinen Diensten stehen Goldschmiede, die den Schaden behoben hätten, ohne Euch eine Lektion zu erteilen, zu der Eure Schwester nicht mehr berechtigt ist. Viviane nimmt sich zuviel heraus. Sie hat an Euch vielleicht Mutterstelle vertreten, als Ihr noch ein Kind wart. Aber das ist doch vorbei. Ihr müßt Euch bemühen, eine erwachsene Frau zu sein.«
»Nun habe ich zwei Lektionen erteilt bekommen«, erwiderte Igraine verstimmt und legte den Schmuck an, »eine von meiner Schwester und eine von meinem Gemahl, als sei ich wirklich ein unvernünftiges Kind.«
Es war ihr, als schwebte über seinem Haupt noch immer der Schatten seines Todes – die grauenvolle Geistererscheinung der Todgeweihten. Plötzlich hoffte Igraine inbrünstig, daß Gorlois kein Kind gezeugt hatte, daß sie nicht das Kind eines todgeweihten Mannes trug… Igraine fror.
»Kommt Igraine«, sagte Gorlois versöhnlich, streckte die Hand aus und streichelte ihre Haare, »seid mir nicht böse. Ich will wirklich versuchen, nicht zu vergessen, daß Ihr eine erwachsene Frau von neunzehn Jahren seid und kein fünfzehnjähriges Kind mehr! Kommt, wir müssen rechtzeitig zur Messe erscheinen. Die Priester sehen es nicht gerne, wenn der Gottesdienst durch Kommen und Gehen gestört wird.«
In der kleinen Kirche aus Flechtwerk und Strohlehm brannten die Lichter, aber sie vermochten die dumpfe Kälte nicht zu vertreiben. Igraine war froh um ihren dicken Wollumhang. Gorlois flüsterte ihr zu, der weißhaarige Priester sei ein so ehrwürdiger Mann wie jeder Druide. Als Priester des Ambrosius begleitete er das Heer, und heute las er eine Dankmesse für die Rückkehr des Königs. »Ist der König auch da?«
»Er betritt gerade die Kirche. Er geht zu dem Platz dort drüben, vor dem Altar«, antwortete Gorlois mit gesenkter Stimme und neigte den Kopf.
Igraine erkannte ihn sofort an dem purpurroten Mantel, den er über einer dunklen, reichbestickten Tunika trug, und an dem juwelenbesetzten Schwert an seiner Hüfte.
Aurelius Ambrosius muß ungefähr sechzig Jahre alt sein,
dachte Igraine bei sich. Er war ein hochgewachsener, hagerer Mann, nach römischer Sitte glatt rasiert; er ging gebeugt und so vorsichtig, als schmerze ihn eine innere Wunde. Früher hatte er vielleicht einmal gut ausgesehen; doch jetzt durchzogen Falten sein Gesicht, und die Haut schimmerte gelblich. Sein ehemals dunkler Schnurrbart war dünn und eisgrau wie die Haare. An seiner Seite schritten zwei oder drei Ratgeber – vielleicht waren es aber auch Könige. Igraine hätte gern gewußt, wer diese Männer waren, aber der Priester sah den König und begann, aus seinem großen Buch vorzulesen. Igraine biß sich auf die Lippen und lauschte schweigend dem Gottesdienst. Aber selbst jetzt, nach vier Jahren Unterweisung durch Vater Columba, verstand sie nicht alles, und es interessierte sie auch nicht. Sie wußte, es galt als unziemlich, in der Kirche wie eine Bauernmagd herumzustarren; dennoch spähte sie unter der Kapuze ihres Umhangs nach einigen Männern in der Nähe des Königs und sah einen großen, stämmigen Mann, den sie für Uriens von Nordwales hielt und einen vornehm gekleideten, schlanken, gutaussehenden Mann, dem das dunkle Haar, nach römischer Sitte kurzgeschnitten, nur bis in den Nacken fiel. Igraine überlegte, ob es Uther sei, der Gefährte des Königs und sein erklärter Nachfolger. Während des ganzen langen Gottesdienstes hielt er sich besorgt an der Seite des Ambrosius, und als der alte König ein Zeichen von Schwäche zeigte, bot der schlanke, dunkle Ritter ihm seinen Arm. Er hielt die Augen aufmerksam auf den Priester gerichtet. Aber Igraine, die die Gedanken der Menschen in ihren Gesichtern lesen konnte, wußte, daß er nicht wirklich dem Priester oder der Messe folgte, sondern eigenen Gedanken nachhing. Einmal hob der Dunkle den Kopf und sah zu Gorlois herüber; dabei streifte sein Blick auch Igraine. Unter dichten, buschigen Brauen sah sie seine schwarzen Augen, und Igraine fröstelte.
Sie empfand jähe Abneigung. Wenn dieser Mann Uther war, sagte sie sich, wollte sie nichts mit ihm zu schaffen haben. Die Krone an seiner Seite wäre zu teuer erkauft. Er war höchstens um die fünfundzwanzig Jahre, wirkte aber jünger.
Im Verlauf des Gottesdienstes wurde es plötzlich unruhig am Eingang. Ein großer, breitschultriger, aber schlanker, kriegerisch wirkender Ritter betrat die Kirche. Er
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