Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
noch am Leben und ein kleines Mädchen im Haus der Jungfrauen. Gegen Ende des Sommers starb er friedlich und wurde in Camelot begraben. Selbst der Bischof betrauerte ihn als einen weisen und gelehrten Mann.
Im nächsten Winter erfuhren wir, daß Meleagrant sich zum König des Sommerlandes hatte ausrufen lassen. Aber im Frühling riefen Artus dringende Pflichten in den Süden. Auch Lancelot war davongeritten, um in Caerleon nach dem Rechten zu sehen. Eines Tages schickte Meleagrant einen Unterhändler. Er bat seine Schwester Gwenhwyfar, mit ihm über die Herrschaft im Sommerland zu sprechen, die sie beide beanspruchten…
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Besorgt sagte Cai: »Ich hätte ein besseres Gefühl, und ich glaube, meinem Gebieter, dem König, wäre es lieber, wenn Lancelot hier wäre, um Euch zu begleiten. An Pfingsten hätte dieser Bursche vor seinem König in der Halle zur Waffe gegriffen, weil er auf den Schiedsspruch des Königs nicht warten wollte. Bruder oder nicht Bruder, es gefällt mir nicht, daß Ihr allein, nur in Begleitung einer Hofdame und Eures Kammerherrn reitet.«
»Er ist nicht mein Bruder«, erwiderte Gwenhwyfar. »Seine Mutter war eine Zeitlang eine Geliebte von König Leodegranz. Aber er verstieß sie, weil er sie mit einem anderen Mann im Bett fand.
Sie
behauptete, und sagte das vielleicht auch zu ihrem Sohn, Leodegranz sei sein Vater. Der König hat ihn nie anerkannt. Wenn er ein ehrenwerter und vertrauenswürdiger Mann wäre, könnte er wahrscheinlich ebensogut wie jeder andere mein Regent sein. Aber ich werde ihm nicht erlauben, aus einer solchen Lüge Nutzen zu ziehen.«
»Wollt Ihr Euch wirklich in seine Hände begeben, Gwenhwyfar?« fragte Morgaine ruhig.
Gwenhwyfar sah Cai und Morgaine an und schüttelte den Kopf. Warum wirkte Morgaine so ruhig und furchtlos? Fürchtete sich Morgaine niemals? Vor nichts? Versteckten sich hinter diesem kühlen und undurchdringlichen Gesicht keine Gefühle? Die Vernunft sagte ihr, daß Morgaine wie alle Menschen manchmal Schmerzen, Furcht, Leid und Zorn empfinden mußte – aber nur zweimal hatte sie Gefühlsregungen bei Morgaine bemerkt. Und das lag schon sehr lange zurück. Einmal, als Morgaine in Trance fiel und von Blut auf dem Herd träumte… damals schrie sie vor Entsetzen auf… und das andere Mal, als Viviane vor ihren Augen erschlagen wurde und sie ohnmächtig niedersank.
Gwenhwyfar antwortete: »Ich traue ihm nicht über den Weg. Er ist nichts als ein machtgieriger Betrüger. Aber überlegt doch, Morgaine, sein ganzer Anspruch gründet sich darauf, daß er mein Bruder ist. Wenn er sich mir gegenüber auch nur die geringste Beleidigung erlaubt oder mich nicht als seine geehrte Schwester behandelt, ist seine Behauptung als Lüge entlarvt. Deshalb wagt er nicht, mich anders als seine Schwester und Königin zu empfangen. Versteht Ihr?«
Morgaine antwortete achselzuckend: »Ich würde ihm nicht einmal soweit trauen.«
»Sicher habt Ihr wie der Merlin Zauberkräfte, die Euch verraten, was geschieht, wenn ich zu ihm gehe.«
Morgaine erwiderte ungerührt: »Man braucht keine Zauberei, um zu erkennen, daß ein Schurke ein Schurke ist, und keine übernatürliche Weisheit muß einem sagen, daß man nicht dem nächstbesten Gauner seine Börse anvertraut.«
Gleichgültig, was Morgaine sagte, Gwenhwyfar fühlte sich immer getrieben, das genaue Gegenteil zu tun. Sie hatte immer das Gefühl, daß Morgaine sie für ein Huhn hielt, zu dumm, um für sich auch nur ein Korn selbst zu finden. Glaubte Morgaine, daß sie, Gwenhwyfar, in Artus' Abwesenheit keine Staatsgeschäfte erledigen konnte? Seit diesem unglückseligen Beltanefest im vergangenen Jahr, als sie ihre Schwägerin um einen Zauber gegen ihre Unfruchtbarkeit gebeten hatte, konnte sie Morgaine kaum unter die Augen treten. Morgaine hatte sie gewarnt, daß die Zauber oft anders wirkten, als man sich wünschte… jetzt mußte sie jedesmal, wenn sie Morgaine ansah, daran denken, daß Artus' Schwester sich ebenfalls daran erinnerte.
Vielleicht bestraft mich Gott für die Zauberei und die sündige Nacht?
Schon beim leisesten Gedanken an dieses Beltane überflutete sie eine Mischung aus Scham und Genuß. Ach, es war so leicht zu sagen, daß sie alle drei betrunken gewesen waren, oder sich damit zu entschuldigen, daß es mit Artus' Zustimmung, auf sein Drängen hin geschehen war. Es blieb eine schwere Sünde – Ehebruch! Seit dieser Zeit hungerte sie Tag und Nacht nach Lancelot. Und doch hatten sie sich kaum gegenübertreten
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