Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
säuerlicher, abgestandener Geruch lag in der Luft. Gwenhwyfar rümpfte die Nase. Aber es erfüllte sie mit großer Erleich
terung, wieder im Schutz von Mauern zu sein, und das war ihr im Augenblick das wichtigste. Sie wunderte sich, wo ihre Begleiter blieben.
»Wollt Ihr ruhen und Euch erfrischen, Schwester? Darf ich Euch in Eure Gemächer bringen?«
Lächelnd antwortete Gwenhwyfar: »Ich werde wohl kaum lange genug hier sein, um sie mein zu nennen. Aber ich möchte mir gerne den Staub von den Händen waschen und den Mantel ablegen. Könnt Ihr jemanden nach meiner Kammerfrau schicken? Ihr solltet eine Gemahlin haben, Meleagrant, wenn Ihr daran denkt, hier Regent zu sein.«
»Das hat Zeit«, entgegnete er, »ich bringe Euch selbst in die Gemächer, die ich für meine Königin vorbereitet habe.«
Er ging mit ihr die vertrauten Treppen nach oben. Auch sie wirkten heruntergekommen und vernachlässigt. Stirnrunzelnd entschied Gwenhwyfar, es sei wohl doch besser, ihn nicht zum Regenten zu ernennen. Hätte Meleagrant die Burg übernommen und instand gehalten, hätte er sich eine Frau gesucht und eine Dienerschaft, die alles in Ordnung hielt, und anständige Bewaffnete, dann… Aber seine Leute wirkten noch mehr wie Wegelagerer als er selbst. Sie hatte noch keine einzige Frau gesehen. Eine leise Unruhe überfiel sie. Vielleicht war es doch nicht klug gewesen, allein hierher zu kommen und nicht darauf zu bestehen, daß ihre Eskorte sie auf Schritt und Tritt begleitete…
Sie wendete sich auf den Stufen um und erklärte: »Mit Eurer Erlaubnis möchte ich meinen Kammerherrn bei mir haben. Außerdem soll man mir sofort meine Kammerfrau schicken!«
»Wie meine Herrin wünscht.«
Meleagrant grinste und entblößte dabei lange, gelbe fleckige Zähne. Gwenhwyfar dachte,
er ist wie ein wildes Tier…,
und wich vor Entsetzen an die Wand zurück. Trotzdem zwang sie sich mit eisernem Willen, bestimmt und entschlossen zu sagen: »Bitte ruft den edlen Ectorius, oder ich werde sofort in die Halle hinuntergehen und warten, bis meine Kammerfrau kommt. Es ziemt sich für Artus' Königin nicht, allein mit einem fremden Mann zu sein…«
»Selbst nicht mit ihrem Bruder?« fragte Meleagrant. Gwenhwyfar entwich seiner Hand. Sie sah, daß Ectorius gerade die Halle betrat und rief: »Ziehvater! Begleitet mich bitte! Und Lucan soll mir meine Kammerfrau schicken!«
Der alte Mann kam langsam hinter ihnen die Treppe nach oben, ging an Meleagrant vorbei und reichte Gwenhwyfar den Arm, die ihn dankbar ergriff. Meleagrant schien das sehr zu mißfallen. Sie erreichten Alienors ehemaliges Schlafgemach. Gwenhwyfar hatte in einer kleinen Kammer dahinter geschlafen. Meleagrant öffnete die Tür.
Abgestandener und modriger Geruch schlug ihr entgegen. Vielleicht sollte sie darauf bestehen, sofort in die Halle zurückzukehren und über ihre Angelegenheit zu sprechen. In einem so verwahrlosten und schmutzigen Raum konnte sie sich wohl kaum erfrischen…
»Du nicht, Alter«, erklärte Meleagrant barsch, drehte sich plötzlich um und stieß Ectorius die Treppe hinab. »Meine Herrin braucht deine Dienste nicht mehr.«
Meleagrant stieß Gwenhwyfar in das Gemach und schlug die Tür hinter ihr zu. Sie stürzte zu Boden und hörte, wie ein schwerer Riegel vorgeschoben wurde. Als sie wieder auf den Beinen stand, fand sie sich allein im Raum. Sie hämmerte gegen die Tür, aber es rührte sich nichts. Also hatte Morgaine recht behalten… Hatte man ihre Begleiter erschlagen? Ectorius und Lucan umgebracht? Es war kalt und dumpf in dem Gemach, in den Alienor ihre Kinder geboren und gelebt hatte und in dem sie auch gestorben war. Auf dem großen Bett lagen nur ein paar zerrissene Leintücher, und das Stroh roch verschimmelt. Alienors alte geschnitzte Truhe stand an ihrem Platz, aber das Schnitzwerk war klebrig und verdreckt. Die Truhe war leer. Kalte Asche häufte sich in der Feuerstelle, als habe hier seit Jahren keine Flamme mehr gelodert. Gwenhwyfar trommelte gegen die Tür und schrie, bis ihr Kehle und Hände schmerzten. Sie war hungrig und erschöpft, der Gestank und der Schmutz verursachten ihr Übelkeit.
Aber sie konnte die Tür nicht einschlagen oder aus dem kleinen Fenster klettern, das hoch über der Erde lag. Sie war gefangen. Durch das Fenster sah sie nur einen verwahrlosten Stall, vor dem eine magere Kuh unruhig hin und her lief und in kurzen Abständen brüllte.
Die Stunden schleppten sich dahin. Gwenhwyfar mußte sich mit zwei Dingen abfinden:
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