Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
schließlich hielt der Mann sich vielleicht wirklich für den Erben ihres Vaters Leodegranz. Möglicherweise stimmte es sogar, und ihr Vater hatte die Wahrheit nie eingestanden.
Vor so vielen Jahren war sie auf dem Weg nach Caerleon an dieses Ufer gekommen… wie jung und unschuldig war sie damals gewesen! Lancelot ritt an ihrer Seite, aber das Schicksal bestimmte sie für Artus. Sie hatte versucht, ihm eine gute Gemahlin zu sein, obwohl ihr Gott keine Kinder schenkte. Und als Gwenhwyfar die wartenden Boote sah, ergriff sie von neuem Verzweiflung. Sie konnte ihrem Gemahl drei, fünf oder sieben Söhne gebären – vielleicht würden sie aber alle in einem Jahr an einer Seuche, am Fieber oder an den Pocken sterben… Das kam vor. Ihre Mutter hatte vier Söhne zur Welt gebracht, und keiner von ihnen wurde älter als fünf Jahre. Auch Alienors Sohn war mit seiner Mutter gestorben. Und Morgaine…
Morgaine hatte dieser teuflischen Zaubergöttin einen Sohn geboren. Soweit sie wußte, lebte
dieser
Sohn und wuchs heran, während sie, eine gläubige Christin und Ehefrau, nicht einmal ein Kind zur Welt bringen konnte, und bald war sie vermutlich ohnedies zu alt dazu.
Meleagrant erwartete sie. Er verneigte sich und hieß sie als seine geehrte Schwester willkommen. Dann geleitete er sie zu seinem Boot, dem kleineren der beiden. Gwenhwyfar wußte später selbst nicht mehr, wie es geschehen konnte, daß mit Ausnahme des Pagen ihre ganze Eskorte von ihr getrennt wurde.
»Das Gefolge meiner Herrin kann im anderen Boot fahren. Ich will Euch selbst geleiten«, erklärte er und ergriff ihren Arm mit einer Vertraulichkeit, die ihr nicht gefiel. Aber schließlich mußte sie sich klug verhalten und durfte ihn nicht verärgern. Im letzten Augenblick winkte sie in plötzlicher Angst Ectorius.
»Mein Kämmerer soll mich ebenfalls begleiten«, erklärte sie. Meleagrant lächelte, und sein großes, grobes Gesicht rötete sich. »Wie meine Schwester und Königin befiehlt«, sagte er, und Ectorius und Lucan stiegen mit ihr in das Boot. Meleagrant breitete einen Teppich aus, auf dem sie sitzen sollte. Die Ruderer legten sich in die Riemen, und sie glitten auf den See hinaus. Schlingpflanzen wucherten im seichten Wasser, das in manchen Jahren völlig verdunstete. Als Meleagrant sich an ihrer Seite niederließ, überfiel Gwenhwyfar plötzlich wieder das alte Entsetzen. Ihr wurde übel, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Mit beiden Händen klammerte sie sich an der Bank fest. Meleagrant saß zu dicht neben ihr, deshalb rückte sie so weit wie möglich von ihm ab. Ihr wäre wohler gewesen, Ectorius an ihrer Seite zu haben; er wirkte so väterlich und gelassen. Gwenhwyfar entdeckte, daß Meleagrant eine große Streitaxt am Gürtel trug – eine solche Waffe hatte er vor dem Thron des Großkönigs zurückgelassen, und hatte Viviane damit ermordet…
Meleagrant beugte sich zu ihr, und sein unangenehmer Atem verursachte ihr noch größere Übelkeit.
»Was ist Euch, Schwester? Die Bootsfahrt kann es doch nicht sein, das Wasser ist völlig ruhig…« Gwenhwyfar lehnte sich zurück und rang um Selbstbeherrschung. Abgesehen von den beiden alten Männern, war sie allein mit ihm mitten auf dem See. Hier umgab sie nur Wasser, Schlingpflanzen und das Schilf am Horizont… weshalb war sie überhaupt gekommen? Weshalb saß sie nicht in ihrem ummauerten Garten in Camelot? Hier gab es keine Sicherheit, sie saß unter dem endlos weiten Himmel und fühlte sich krank, hilflos und ungeschützt…
»Wir werden das Ufer bald erreichen«, erklärte Meleagrant, »ich habe die Gemächer der Königin vorbereiten lassen, damit Ihr ruhen könnt, ehe wir unsere Angelegenheit besprechen, Schwester…«
Knirschend legte wenig später das Boot an. Gwenhwyfar entdeckte den alten Weg, der in engen Windungen zur Burg und zur alten Mauer hinaufführte. Dort hatte sie an jenem Nachmittag gesessen und Lancelot bei den Pferden beobachtet. Sie fühlte sich verwirrt, es kam ihr vor, als sei das alles erst gestern gewesen, und sie sei noch immer das schüchterne junge Mädchen. Verstohlen berührte sie die Mauer. Sie war stark und fest; erleichtert trat sie durch das Tor.
Die alte Halle erschien ihr kleiner als in der Kindheit. Auf dem alten Thron ihres Vaters lagen Felle, wie Meleagrant sie trug, und auf dem Boden davor sah sie ein großes schwarzes Bärenfell. Alles wirkte ungepflegt – die Felle schmutzig und voller Löcher, die Halle nicht gefegt, und ein
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