Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
seinen Worten kein Vorwurf lag, spürte Niniane die Spitze. Eine Priesterin mit dem Halbmond auf der Stirn konnte eine Viviane sein oder nicht viel mehr als sie selbst. »Zur Sommersonnenwende soll er zurückkehren«, sagte sie beherrscht, »um König von Avalon zu werden, denn Artus hat dieses Volk betrogen. Gwydion … Mordred… ist ein erwachsener Mann…«
Kevin warnte: »Er ist noch nicht bereit.«
»Zweifelt Ihr an seinem Mut? Oder an seiner Treue…?« »Oh… Mut«, entgegnete Kevin und machte eine wegwerfende Geste. »Mut und Schlauheit… Aber ich traue seinem Herzen nicht, und ich kann darin nichts lesen. Außerdem ist er nicht Artus.«
»Wie gut für Avalon, daß er das nicht ist«, erwiderte Niniane scharf. »Wir brauchen nicht noch mehr Abtrünnige, die Avalon die Treue schwören und dem Alten Volk in den Hügeln gegenüber wortbrüchig werden. Die Christenpriester setzten vielleicht einen frommen Heuchler auf den Thron, der jedem Gott dient, dem zu dienen es im Augenblick ratsam erscheint…«
Kevin erhob die verstümmelte Hand in einer so gebieterischen Geste, daß Niniane jäh verstummte. »Avalon ist nicht die wirkliche Welt! Wir haben weder die Kraft oder das Heer, noch den Einfluß. Artus wird über alle Maßen geliebt und verehrt. Nicht in Avalon, da habt Ihr recht, aber vom Norden bis zum Süden und vom Osten bis zum Westen dieser Inseln. König Artus hat diesem Reich den Frieden gebracht, über den alle sich von Herzen freuen. Wenn heute jemand die Stimme gegen Artus erheben würde, wäre er in wenigen Monaten, vielleicht sogar Tagen, zum Schweigen gebracht. Der Großkönig ist beliebt… er ist der lebenspendende Geist Britanniens. Selbst wenn es nicht so wäre, Avalon besitzt in der Welt draußen kaum noch Gewicht. Ihr habt es selbst festgestellt. Wir entschwinden in den Nebeln der Zeit.«
»Um so schneller müssen wir handeln und Artus zu Fall bringen. Wir müssen einen König auf den Thron Britanniens setzen, der Avalon wieder in die Welt zurückführt und die Göttin…«
Kevin unterbrach sie ruhig: »Manchmal frage ich mich, ob das möglich ist… Vielleicht haben wir alle unser Leben in einem Traum verbracht.«
»Das sagt Ihr? Ihr, der Merlin von Britannien?«
»Ich habe auf Camelot, an Artus' Hof, gelebt, nicht im Schutz einer Insel, die sich immer weiter von der Welt draußen entfernt«, erwiderte Kevin sanft. »Hier ist meine Heimat, und ich würde sterben, wie ich es geschworen habe… aber die Große Ehe habe ich mit Britannien geschlossen, Niniane, nicht nur mit Avalon.«
»Wenn Avalon untergeht«, sagte Niniane, »verliert Britannien sein Herz und wird sterben. Denn die Göttin entzieht dem ganzen Land die Seele.«
»Glaubt Ihr das wirklich, Niniane?« fragte Kevin seufzend. »Ich bin kreuz und quer durch dieses Land gereist… bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit… als Merlin von Britannien, als Falke des Gesichts und Bote des Großen Rabens… jetzt sehe ich in diesem Land ein anderes Herz… es schlägt in Camelot.« Er schwieg.
Nach langer Zeit fragte Niniane: »Habt Ihr so gesprochen, als Morgaine Euch einen Verräter nannte?«
»Nein… damals ging es um etwas anderes«, erklärte er. »Vielleicht kennen wir die Absichten und den Willen der Götter weniger gut, als wir glauben, Niniane. Ich sage Euch, wenn wir Artus jetzt stürzen, wird das Land in ein schlimmeres Durcheinander geraten als beim Tod des Ambrosius. Uther Pendragon mußte schwer um seine Krone ringen. Glaubt Ihr etwa, Gwydion kann kämpfen, wie Artus es tat, um sich das Land Untertan zu machen? Artus' Ritter würden sich wie ein Mann gegen jeden wenden, der ihren König und ihr Vorbild angreift. Für sie ist er wie ein Gott: unfehlbar und gerecht.«
»Es war nie unser Wunsch«, sagte Niniane, »daß Gwydion mit seinem Vater um den Thron kämpft… Aber an dem Tag, an dem Artus weiß, daß er keinen Erben hat, muß er den Sohn anerkennen, der dem königlichen Geschlecht von Avalon entstammt, und der Avalon und den wahren Göttern Treue geschworen hat. Dazu muß er in Avalon zum Hirschkönig gekrönt werden. Dann wird Gwydion die Unterstützung des Alten Volkes und der Stämme haben, wenn der Großkönig einen Thronerben sucht. Mir wurde berichtet, daß Artus Lancelots Sohn bestimmt hat, weil seine Königin unfruchtbar ist. Aber Lancelots Sohn ist noch klein. Und Gwydion ist ein Mann. Glaubt Ihr nicht, man würde Gwydion, einen Krieger und Druiden, einem Kind vorziehen, wenn Artus heute etwas
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