Avalons Geisterschiff
fortgeschritten war, denn viel konnte sie nicht ausmachen. Die einzelnen Gegenstände schoben sich ineinander und verschwammen zu einer Soße. Jedenfalls entdeckte sie kein Mitglied der Besatzung.
Über dem Deck blieb sie in einer schwebenden Haltung. Sie spürte die Trockenheit in ihrer Kehle. Ihr Herz schlug schneller als gewöhnlich, denn sie dachte daran, dass sie dicht vor einer ungeheuerlichen Entdeckung stand.
Carlotta war sich darüber klar, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Aber welche?
Auf der einen Seite spürte sie eine gewisse Furcht, auf der anderen stieg die Neugierde mächtig in ihr hoch. Die Versuchung war groß, an Deck zu gehen und das Schiff zu untersuchen.
Sollte sie? Sollte sie nicht?
Vor ihrem geistigen Auge erschien das Gesicht von Maxine Wells. Es zeigte keinen drohenden, sondern mehr einen besorgten Ausdruck, aber den übersah Carlotta.
Die Neugierde siegte. Wenn ihr schon etwas so Einmaliges geboten wurde, musste sie die Chance nutzen.
Und so schwebte sie dem Deck entgegen.
Erneut achtete sie auf die Umgebung. Inzwischen war die Dunkelheit fortgeschritten. Zwar war die Nacht noch nicht ganz hereingebrochen, aber die Grautöne verschluckten bereits die letzte Helligkeit. In einer solchen Welt konnten durchaus Gefahren lauern, das wusste auch Carlotta. Umso misstrauischer beobachtete sie ihre Umgebung, als sie auf dem Schiffsdeck stehen blieb.
Sie glaubte, in einer anderen Welt gelandet zu sein. Schon vor kurzem war ihr die Stille aufgefallen, und das Problem hatte sie auch jetzt. Es war so seltsam still, für sie sogar unerklärlich, denn sie hörte die Geräusche des Sees nicht mehr. Kein Plätschern, keine Tierstimmen, die den Tag verabschiedeten. Auf dem Deck des Schiffes war es ruhig. Über sich sah sie das Segel. Es kam ihr viel größer vor als bei der ersten Entdeckung. Wie eine mächtige Fahne hing es am Mast. Das aufgemalte oder gedruckte Kreuz schimmerte schwach durch den Stoff.
Den Bug des Schiffes mit seiner gebogenen Form hatte sie nicht als normal angesehen. Doch auf dem Deck konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken.
Sie sah das Ruder auf dem Block. Es gab nur eine schwache Takelage. Das Segel hing am Mast, ohne dass es ihrer Meinung nach perfekt befestigt war.
Ruderbänke und Seilabsicherungen waren an den Seiten des Schiffes ebenfalls vorhanden. Hier hatten diejenigen gesessen, die das Schiff bei einer Flaute ruderten.
Es war keine Fahne zu sehen. Zumindest keine mit einem Totenkopf darauf. Ein Piratenschiff schien dieses Boot nicht zu sein, aber wem hatte es dann gehört? Und wie war es an diesen Ort gelangt, ohne dass sie etwas bemerkt hatte?
Fragen, die Carlotta quälten und auf die sie keine Antwort wusste. Es gab für sie nur eine Möglichkeit. Sie musste das Schiff weiter untersuchen und sicherlich auch unter Deck gehen, was ihr allerdings ein ungutes Gefühl gab.
Sie fragte sich, ob das nicht zu gefährlich war. Nachdenklich blieb sie vor einem Niedergang stehen. Er war offen. Sie konnte in die Tiefe schauen und hatte den Eindruck, in eine finstere Höhle zu blicken, in der sich unzählige bösartige Gestalten verborgen hielten, die noch schwiegen, aber jeden Moment hervorströmen konnten wie kleine Teufel aus dem Höllenloch.
Sie hörte nichts. Trotzdem schwand ihr Misstrauen nicht. Nach wie vor fühlte sich Carlotta vom Rest der Welt abgetrennt. Den See schien es nicht mehr zu geben.
Sie ärgerte sich jetzt darüber, keine Lampe mitgenommen zu haben. Sie hielt die Lippen fest zusammengepresst und atmete nur durch die Nase.
Wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, dann fühlte sie sich als Störenfried in dieser so anderen Welt, in der sich so viel verbergen konnte.
Dann passierte doch etwas!
Sie hörte zuerst ein ungewöhnliches Geräusch. Genau zu identifizieren war es nicht. Und sie fand auch nicht heraus, aus welcher Ecke des Schiffes es an ihre Ohren drang.
Aber es war da. Da schienen sich Stimmen gesammelt zu haben, die sich mit dem Knarzen von Holz vereinigten. Alles war plötzlich anders geworden. Keine Stille mehr, denn die Geräusche blieben nicht gleich. Sie nahmen an Lautstärke zu.
Unter ihren Füßen vibrierte der Boden. Nur ein leichtes Zittern der Planken, aber durchaus festzustellen. Das war keine Einbildung. Aber hier war kein Motor angelassen worden, der dieses Vibrieren verursacht hätte. Auf diesem alten Kahn gab es so etwas nicht.
Carlotta trat vom Niedergang weg und blickte sich um. In der Dunkelheit war nichts
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