AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
finster und abweisend an wie die anderen.
Und Donovan?
Er war ein guter Kamerad gewesen, als er damals mit seinem Erzieher Tillholde besucht hatte. Zuerst schüchtern und stumm, war er mit ihr durch die weitverzweigte Burg gewandert und dabei allmählich aus sich herausgegangen. Schwert und Bogen handhabte er ohne Geschick, doch wenn er musizieren durfte, war er wie verwandelt. Unter seinen Fingern wurde die Laute lebendig und zum ersten Mal hatten Ava die höfischen Tänze Freude gemacht. Jeden Abend war sie an Donovans Hand durch den Saal gewirbelt und es hatte sie nicht gestört, dass Lalun der Mutter bedeutungsvolle Blicke zugeworfen hatte.
Als sie ihn unter den anderen Schülern entdeckte, hatte sie sich zunächst gefreut, aber er benahm sich seltsam, starrte sie an und errötete, wenn sie es merkte. Sprach sie ihn an, begann er zu stottern und langsam wuchs in ihr der Verdacht, dass er sich in sie vergafft hatte, wie Jermyn es hämisch nannte. Die Vorstellung bereitete ihr Unbehagen und Donovans Befangenheit langweilte sie. Und so hatte sie beschlossen, in der nächsten mondhellen Nacht herauszufinden, was es mit dem Kletterer auf sich hatte.
Sie schlich aus ihrem Zimmer durch die stillen Gänge, durchquerte die Kreuzgänge und lief über das taufeuchte Gras der Innenhöfe. Den Weg zu dem baufälligen Turm hatte sie schon am Tage erkundet und bald stand sie vor der eisenbeschlagenen Tür.
Sie war nicht verschlossen, die Väter gingen davon aus, dass ihre Gebote eingehalten wurden. Ava focht einen kurzen Kampf mit sich aus, zuckte die Schultern und öffnete die Tür einen Spalt. Undurchdringliche Schwärze quoll ihr entgegen, aber sie schlüpfte ohne zu zögern hinein – Dunkelheit schreckte sie nicht.
Sie tastete sich zur Treppe und kletterte hinauf. Ehrerbietig grüßte sie jede Stufe, auf die sie den Fuß setzte und die Steine schmiegten sich an ihre Sohlen, so dass sie nicht strauchelte. Einige Male flatterte etwas über ihren Kopf hinweg und die weiche Berührung eines Spinnengewebes ließ sie zurückzucken. Aber dies blieben die einzigen Überraschungen und bald sah sie das helle Viereck der Türöffnung vor sich. Ihr Fuß stieß gegen etwas, sie bückte sich und fühlte hölzerne Sprossen. Eine Leiter, die zu einer Dachluke geführt haben musste. Vorsichtig tastete sie sich darüber und trat ins Freie.
Sie hatte nur einen kurzen Eindruck von mondbeschienen Dächern, als ihr das Herz in den Hals sprang. Eine Hand griff über das steinerne Geländer und der geheimnisvolle Kletterer schwang sich auf den Balkon. Auch ihn hatte die klare Nacht herausgelockt.
Ava erschrak. Warum hatte sie nicht gleich erraten, wer sich so einfach über das Verbot der Väter hinwegsetzte? Er holte zischend Luft und plötzlich zweifelte sie, ob es ein guter Einfall gewesen war, den Turm gerade heute Nacht zu erkunden.
Jermyn fasste sich schnell, als er Ava im schwachen Sternenlicht erkannte und sofort stieg die Wut in ihm hoch. Dies war sein Revier, sie hatte kein Recht hier zu sein ...
»Was willst du hier?«, er packte sie grob am Arm, »du hast hier nichts zu suchen.«
Mit einer heftigen Bewegung riss sie sich los. »Was fällt dir ein? Du doch auch nicht. Ich kann genauso hier sein wie du.«
Jermyn starrte sie an. Sein Atem ging schnell, er zitterte.
»Hast dich wohl von einem Windchen herauftragen lassen«, höhnte er, um seine Fassung wiederzufinden. Vor einigen Wochen hatte sie einen Wirbelwind herbeigerufen und sich auf das Dach des Kreuzganges tragen lassen. Wie sie geglotzt hatten, die Gimpel!
»Hab ich nicht, ich bin die Treppe hochgekommen. Im Dunkeln! Und spiel dich nicht auf, du bist nicht der einzige, der klettern kann.«
Jermyn war so verblüfft über ihre schnippische Antwort, dass er seinen Zorn fast vergaß. Das feine Fräulein brachte doch sonst nichts aus der Ruhe, immer scheißfreundlich, nie schlecht gelaunt. Jetzt drehte sie sich um und wandte sich der Treppe zu. Sie gab auf, räumte das Feld ...
»Es geht noch weiter hinauf.« Beinah gegen seinen Willen waren ihm die Worte entfahren. Das Mädchen blieb stehen.
»Nein, die Leiter ist eingestürzt, man kann nicht zum oberen Balkon.«
»Doch, man kann, ich kann ... außen, an der Mauer entlang«, er saß schon auf der Brüstung, »komm, wenn du dich traust.«
Sie zögerte einen Augenblick, aber als er sich aufrichtete und zur Wand vortastete, kam sie heran und schwang sich hinter ihm auf das Geländer.
Der Abgrund schien sie nicht zu
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