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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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in denen sich Abscheu und Faszination mischten, niedergeschrieben von jenen seltsamen, uralten Erforschern der wohlgehüteten Geheimnisse des Universums, deren vermodernde Texte ich in mich aufzunehmen liebte. Sie war ein Schlüssel - eine Art Führer - zu gewissen Toren und Übergängen, von denen Mystiker geträumt und geraunt haben seit der Jugend der Spezies, und die zu Freiheiten und Entdeckungen außerhalb der drei Dimensionen und Lebens- und Materiebereiche, die wir kennen, führte. Seit Jahrhunderten hatte sich niemand an ihre lebensspendende Substanz erinnert oder gewußt, wo sie zu finden sei, aber dieses Buch war wirklich sehr alt. Keine Druckerpresse, sondern die Hand eines halbverrückten Mönchs hatte diese unheimlichen lateinischen Formulierungen in Unzialen von ehrfurchtgebietendem Alter gezogen. Ich erinnere mich an den höhnischen Blick des alten Mannes, sein Kichern, und daß er mit der Hand ein seltsames Zeichen machte, als ich es forttrug. Er hatte sich geweigert, eine Bezahlung anzunehmen, und erst viel später erriet ich den Grund. Als ich durch diese engen, gewundenen, in Nebel gehüllten Straßen der Hafengegend nach Hause eilte, hatte ich den beängstigenden Eindruck, daß mir leise trippelnde Schritte beharrlich folgten. Die jahrhundertealten, verfallenden Häuser rechts und links schienen neu belebt durch eine schauerliche Bösartigkeit - als ob ein bisher aufgestauter Kanal teuflischer Intelligenz plötzlich geöffnet zu fließen begänne. Ich fühlte, daß diese Wände und überhängenden Giebel aus schimmelbedeckten Ziegeln und schwammigem Mörtel und Holz - mit
    augenähnlichen, rautenförmigen Fenstern, die höhnisch blickten
    - drauf und dran waren, sich vorzuschieben und mich zu erdrücken... und doch hatte ich nur das unbedeutendste Bruchstück jenes gotteslästerlichen Liedes gelesen, bevor ich das Buch zuklappte und einsteckte.
    Ich erinnere mich, wie ich schließlich das Buch las - mit bleichem Gesicht, eingeschlossen in dem Giebelzimmer, das ich seit langem seltsamen Forschungen gewidmet hatte. In dem großen Haus war es ganz still, denn ich war erst nach oben gegangen, als Mitternacht vorbei war. Ich glaube, ich hatte damals eine Familie obwohl die Einzelheiten völlig verschwommen sind -, und ich weiß, daß es zahlreiche Dienstboten gab. In welchem Jahr das war, vermag ich nicht zu sagen, denn seit damals habe ich viele Zeitalter und Dimensionen erlebt, und mein ganzer Zeitbegriff hat sich aufgelöst und verändert. Ich las bei Kerzenschein - ich erinnere mich noch an das unbarmherzige Tropfen des Wachses -, und von fernen Glockentürmen erklang ab und zu Glockengeläut.
    Ich schien dieses Glockengeläut mit merkwürdiger Spannung zu verfolgen, als fürchtete ich, darunter einen fernen, störenden Klang zu vernehmen.
    Dann war das erste Mal Kratzen und Tappen am Giebelfenster zu hören, das hoch über die anderen Dächer der Stadt hinwegblickte. Es war zu vernehmen, als ich laut den neunten Vers dieses Urliedes vor mich hin sprach, und unter Schaudern war mir klar, was es bedeutete. Denn derjenige, der die Tore passiert, erwirbt sich immer einen Schatten, und hinfort ist er nie mehr allein. Ich hatte die Geister heraufbeschworen - und das Buch enthüllte wirklich alles, was ich vermutet hatte. In jener Nacht schritt ich durch das Tor, hinein in einen Wirbel aus verzerrter Zeit und Vorstellung, und als ich mich am Morgen in dem Dachzimmer fand, erblickte ich an Wänden und Borden und Einrichtungen etwas, was ich nie zuvor gesehen hatte.
    Auch nachher konnte ich die Welt nie mehr so wahrnehmen, wie ich sie gekannt hatte. In die augenblickliche Szene mischte sich immer ein wenig Vergangenheit und ein wenig Zukunft, und jeder einst vertraute Gegenstand ragte fremdartig in die neue Perspektive hinein, zu der meine erweiterte Sicht geführt hatte. Von da an wandelte ich in einem phantastischen Traum unbekannter und halbbekannter Formen, und mit jedem neuen Tor, das ich durchschritt, verloren die Dinge der
    eingeschränkten Sphäre, an die ich so lang gebunden gewesen war, an Schärfe. Was ich um mich sah, konnte niemand sonst sehen, und ich wurde doppelt so schweigsam und reserviert, damit man mich nicht für verrückt hielt. Hunde fürchteten mich, denn sie spürten den äußeren Schatten, der nie von meiner Seite wich. Ich las jedoch noch immer weiter- in verborgenen, vergessenen Büchern und Schriftrollen, zu denen mich meine neue Sicht führte - und drängte vorwärts durch

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