Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
Vom Netzwerk:
Mitternacht ein, die vor Goldstaub glitzerten, Strudel von Staub und Feuer, die aus dem entlegensten Weltraum herbeiwirbelten, befrachtet mit Wohlgerüchen von jenseits der Welten.
    Betäubende Ozeane ergossen sich hier, erleuchtet von Sonnen, die das Auge nie erblicken wird und in deren Wirbeln sich seltsame Delphine und Meeresnymphen aus Tiefen, die sich dem Gedächtnis entziehen, tummelten. Lautlose Unendlichkeit umströmte den Träumer und führte ihn mit sich fort, ohne auch nur den Körper zu berühren, der steif aus dem einsamen Fenster lehnte. Und an vielen Tagen, die die Kalender des Menschen nicht zählen, trugen ihn die Gezeiten ferner Himmelskugeln sanft dahin, damit er sich mit den Träumen vereinige, nach denen er sich sehnte, jene Träume, die dem Menschen verlorengegangen sind. Und als die Himmelsbahn mehrmals durchlaufen war, setzten sie ihn sanft schlummernd an einer grünen Sonnenaufgangsküste ab, einer grünen Küste mit wohlriechenden Lotosblüten, übersät mit den Sternen roter Camalaten...
    (etwa 1922.)

Der Sproß
    Ich schreibe, den Worten meines Arztes zufolge, auf dem Totenbett, und meine schrecklichste Befürchtung ist, daß er sich irrt. Ich nehme an, man wird mich nächste Woche zu Grabe tragen, aber...
    In London gibt es einen Mann, der schreit, wenn die Kirchenglocken läuten. Er haust mit seiner gestreiften Katze in Gray's Inn, und die Leute sagen, er sei ein harmloser Irrer. Sein Zimmer ist vollgestopft mit Büchern der zahmsten und kindischsten Sorte, und Stunde um Stunde versucht er, sich in ihren einfältigen Seiten zu verlieren. Er hat nur den einen Wunsch, ans Leben nicht denken zu müssen. Aus einem bestimmten Grund ist das Denken für ihn etwas Entsetzliches, und alles, was die Phantasie anregt, flieht er wie die Pest. Er ist unwahrscheinlich dünn und grau und verrunzelt, aber manche Leute behaupten, er sei bei weitem nicht so alt, wie er aussehe.
    Die Furcht hält ihn in ihren grausamen Klauen, und jedes Geräusch läßt ihn auffahren, seine Augen werden starr und auf seiner Stirn bilden sich Schweißtropfen. Freunde und Gefährten meidet er, denn er will keine Antwort auf Fragen geben. Jene, die ihn einst als Gelehrten und Schöngeist kannten, sagen, daß er jetzt bemitleidenswert aussieht. Er hat Vorjahren den Kontakt mit ihnen abgebrochen, und keiner von ihnen kann mit Sicherheit sagen, ob er das Land verlassen hat oder ihnen bloß auf einem verborgenen Nebenweg aus den Augen geraten ist.
    Seit einem Jahrzehnt wohnt er nun im Gray's Inn, und wo er sich zuvor aufgehalten hatte, darüber ließ er kein Wort verlauten bis zu der Nacht, da der junge Williams das Necronomicon kaufte.
    Williams war ein Träumer, erst dreiundzwanzig, und als er in das uralte Haus einzog, spürte er etwas Wunderliches, einen Hauch kosmischen Windes um den grauen verrunzelten Mann im Nebenzimmer.

    Er zwang ihm seine Freundschaft auf, wo alte Freunde es nicht wagten, und wunderte sich über die Furcht, die diesem hageren, abgezehrten Beobachter und Lauscher im Nacken saß.
    Denn daß der Alte stets beobachtete und lauschte, daran konnte kein Zweifel sein. Er beobachtete und lauschte mehr mit seinem Gemüt als mit Augen und Ohren und trachtete unentwegt, irgend etwas zu übertäuben, indem er ständig über heiteren, abgeschmackten Romanen brütete. Und wenn die
    Kirchenglocken läuteten, dann hielt er sich die Ohren zu und schrie, und die graue Katze, die bei ihm hauste, heulte im Gleichklang mit ihm, bis der letzte Glockenschlag widerhallend verklang.
    Aber so sehr sich Williams auch bemühte, er konnte seinen Nachbarn nicht dazu bringen, von etwas Belangvollem oder Verborgenem zu sprechen. Der Alte wurde seinem Aussehen und seinem Gebaren nicht gerecht, er tat so, als stimme er lächelnd zu, und plauderte aufgeregt und wie gehetzt von fröhlichen Banalitäten. Seine Stimme schwoll dabei von Augenblick zu Augenblick an und wurde immer lauter, bis sie zuletzt in einem pfeifenden und abgerissenen Falsett auseinanderfiel. Daß seine Kenntnisse tief und gründlich waren, ging selbst aus seinen allerbanalsten Bemerkungen zur Genüge hervor, und Williams war keineswegs überrascht, als er erfuhr, daß er in Harrow und Oxford studiert hatte. Später stellte sich heraus, daß er kein Geringerer als Lord Northam war, von dessen uraltem Stammschloß an der Küste Yorkshires man sich so viele Seltsamkeiten erzählte. Als Williams jedoch versuchte, das Gespräch auf das Schloß und seine angeblich römischen

Weitere Kostenlose Bücher