Azazel
Mars weiterzureisen - oder irgendwo anders hin.
George schüttelte den Kopf. »Wie ironisch. Wie ironisch.«
»Was ist daran ironisch?« fragte ich.
»Verstehst du denn nicht? Der arme Sophokles Moskowitz! Er ist eine neue und verbesserte Version des Ewigen Juden, und dabei ist er noch nicht einmal orthodox.«
George legte sich eine Hand über die Augen und tastete mit der anderen nach seiner Serviette. Dabei griff er versehentlich nach dem Zehn-Dollar-Schein, den ich dem Kellner hingelegt hatte. Er wischte sich mit der Serviette die Augen - was mit dem Zehn-Dollar-Schein geschah, habe ich jedoch nicht gesehen. Als er immer noch schluchzend das Restaurant verließ, war der Tisch leer.
Ich seufzte und holte einen weiteren Zehn-Dollar-Schein aus meiner Tasche.
Ansichtssache
George und ich saßen auf einer Bank an der Hafenpromenade und ließen die Blicke über den breiten Strand und das funkelnde Meer in der Ferne schweifen. Ich gab mich dem unschuldigen Vergnügen hin, die jungen Damen in ihren Bikinis zu beobachten und fragte mich, ob das Leben für sie auch nur die Hälfte der Schönheit bereithielt, die sie selbst spendeten.
Da ich George gut kannte, ging ich davon aus, daß seine eigenen Gedanken längst nicht von derlei edlen, rein ästhetischen Motiven beherrscht sein würden wie die meinen. Ich war überzeugt, daß sie um nützlichere Dinge kreisen würden, denen man diese jungen Damen zuführen konnte.
Daher war meine Überraschung nicht eben gering, als ich ihn sagen hörte: »Alter Freund, hier sitzen wir und genießen die Schönheit der Natur in Form des göttlichen weiblichen Körpers - um einen treffenden Ausdruck zu prägen -, und doch kann wahre Schönheit gewiß nicht so offenkundig sein. Schließlich ist wahre Schönheit so kostbar, daß sie vor den Augen trivialer Beobachter verborgen sein muß. Hast du daran jemals gedacht?«
»Nein«, sagte ich, »daran habe ich nie gedacht, und jetzt, wo du es erwähnst, denke ich eigentlich immer noch nicht daran. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß du jemals daran gedacht hast.«
George seufzte. »Mit dir zu reden, alter Freund, ist so, als würde man in Molasse schwimmen - sehr wenig Lohn für große Anstrengung. Ich habe gesehen, wie du diese hochgewachsene Göttin dort beobachtet hast, deren hauchdünne Textilstreifen kaum jene wenigen Quadratzentimeter verbergen, die sie vorgeblich bedecken sollen. Dir ist doch gewiß bewußt, daß sie damit nur rein Oberflächliches zur Schau stellt.«
»Ich habe nie viel vom Leben erwartet«, sagte ich auf die mir eigene bescheidene Weise. »Ich gebe mich durchaus mit derlei Oberflächlichkeiten zufrieden.«
»Stell dir vor, um wieviel schöner eine auch nur mittelmäßig mit Reizen ausgestattete junge Frau selbst für das ungeübte Auge eines Menschen wie dir sein müßte, wenn sie über Eigenschaften wie Güte, Selbstlosigkeit, Fröhlichkeit, Fleiß und Mitgefühl für andere verfügen würde - kurzum, alle Tugenden, die einer Frau Anmut und Würde verleihen.«
»Ich glaube allmählich, George«, sagte ich, »daß du betrunken bist. Was, um alles in der Welt, kannst du schon von derlei Tugenden wissen?«
»Ich bin bestens mit ihnen vertraut«, antwortete George gekränkt, »da ich sie ununterbrochen und in großem Maße praktiziere.«
»Zweifellos«, sagte ich, »nur in der Abgeschiedenheit deiner eigenen vier Wände und im Dunkeln.«
Deine unhöfliche Bemerkung will ich überhört haben [sagte George], muß aber dennoch erklären, daß ich diese Tugenden, selbst wenn ich sie nicht aus persönlicher Erfahrung kennen würde, durch meine Bekanntschaft mit einer jungen Frau namens Melisandc Ott, geborene Meli-sande Renn, kennengelernt hätte, die von ihrem liebevollen Ehemann Octavius nur Maggie genannt wird. Ich kannte sie ebenfalls als Maggie, denn sie war die Tochter eines guten Freundes von mir, der mittlerweile leider verschieden ist, und sie betrachtete mich stets als ihren Onkel George.
Ich muß gestehen, es gibt da einen Teil in mir, der, genau wie du, die diskrete Schönheit dessen, was du »Oberflächlichkeiten« nennst, zu schätzen weiß. - Ja, alter Knabe, ich weiß, daß ich diesen Ausdruck zuerst benutzt habe, aber wir kommen nicht weiter, wenn du mich ständig wegen derlei Nebensächlichkeiten unterbrichst.
Aufgrund dieser meiner kleinen Schwäche muß ich ebenfalls zugeben, daß meine Freude, wenn sie bei meinen Anblick in einen Rausch des Entzückens geriet und quietschte und die Arme
Weitere Kostenlose Bücher