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Azazel

Titel: Azazel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Asimov
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zufällig entstanden. Nicht wie jenes dort.« Sie wies auf ein Wandgemälde aus Jutesäcken und Kartonstückchen, in dessen Mitte sich ein zerbrochener Schneebesen befand, der mit etwas bekleckert war, das aussah wie getrocknetes Ei.
    Ich betrachtete das Gemälde respektvoll. »Sicher unbezahlbar!« sagte ich.
    »Das denke ich auch«, sagte sie. »Schließlich ist es kein neuer Schneebesen, weißt du. Er besitzt die Patina des Alters. Ich habe ihn aus irgendeinem Müllbeutel geholt.«
    Und dann, ich kann mir nicht erklären warum, begann ihre Unterlippe zu zittern und sie sagte mit bebender Stimme: »Ach, Onkel George.«
    Sofort war ich von Unruhe und Sorge erfüllt. Ich griff nach ihrer schöpferischen linken Hand mit den starken Fingern einer Bildhauerin und drückte sie. »Was hast du denn, mein Kind?«
    »Ach, George«, sagte sie. »Ich habe es so satt, mir diese einfachen Abstraktionen auszudenken, nur weil sie dem Geschmack der Menge entsprechen.« Sie legte die Knöchel ihrer rechten Hand an die Stirn und sagte dramatisch: »Ich wünschte so sehr, ich könnte das machen, was ich gern möchte, was mir mein Künstlerherz eingibt.«
    »Und was wäre das, Holunderbeere?«
    »Ich möchte experimentieren. Ich möchte neue Wege beschreiten.
    Ich möchte das versuchen, was noch nie versucht wurde, das wagen, was nie gewagt wurde und das herstellen, was eigentlich nicht herstellbar ist.«
    »Warum tust du es dann nicht, mein Kind? Du bist doch sicher reich genug, um tun und lassen zu können, was du willst?«
    Plötzlich lächelte sie, und ihr ganzes Gesicht leuchtete vor Schönheit. »Danke, Onkel George«, sagte sie. »Danke, daß du das gesagt hast. Ich gönne mir das auch - hin und wieder. Ich habe ein geheimes Zimmer, in dem ich meine kleinen Experimente aufbewahre. Werke, die nur das gebildete Auge des Künstlers zu würdigen weiß. Kaviar für die Massen«, fügte sie hinzu.
    »Darf ich sie mir ansehen?«
    »Natürlich, mein lieber Onkel. Schließlich hast du mich in meinen Hoffnungen bestärkt - wie könnte ich es dir da abschlagen?«
    Sie hob einen schweren Vorhang an, hinter dem sich eine geheime Tür befand - kaum sichtbar, so genau war sie in die Wand eingepaßt. Sie drückte einen Knopf, und die Tür öffnete sich. Wir gingen hindurch, und als sich die Tür hinter uns geschlossen hatte, ließen grelle Neonröhren den fensterlosen Raum, in den wir getreten waren, in taghellem Licht erstrahlen.
    Mein Blick fiel sofort auf die Skulptur eines Storches, die aus einem schweren, harten Material angefertigt war. Jede Feder saß an der richtigen Stelle, die Augen leuchteten, der Schnabel war leicht geöffnet und die Flügel waren halb ausgebreitet. Das Tier sah aus, als wolle es sich jeden Augenblick in die Lüfte erheben.
    »Gütiger Himmel, Holunderbeere«, sagte ich. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Gefallt es dir? Ich nenne es >photografische Kunst< und ich glaube, es besitzt eine ganz eigene Schönheit. Natürlich äußerst experimentell. Kritiker und Öffentlichkeit würden mich auslachen und verspotten, weil sie nichts damit anzufangen wüßten. Sie wissen nur einfache Abstraktionen zu schätzen, die vollkommen oberflächlich sind und die jeder verstehen kann. Kunst wie diese hier erschließt sich nur dem Scharfsinnigen und dem, der bereit ist, sich auf den langsamen Verständnisprozeß einzulassen.«
    Danach genoß ich hin und wieder das Privileg, ihr geheimes Zimmer besuchen zu dürfen und die seltenen Stücke zu betrachten, die unter ihren starken Fingern und ihrem geübtem Meißel entstanden. Ich war voller Bewunderung für den Kopf einer Frau, der Holunderbeere wie aus dem Gesicht geschnitten war.
    »Ich nenne es >Der Spiegel««, sagte sie und lächelte scheu. »Es ist ein Abbild meiner Seele, findest du nicht auch?«
    Ich stimmte ihr begeistert zu.
    Ich denke, das hat sie schließlich dazu gebracht, mir das größte ihrer Geheimnisse zu zeigen.
    Ich sagte zu ihr: »Holunderbeere, wie kommt es, daß du gar keine ...« Ich hielt inne, doch ich wollte nicht um den heißen Brei herumreden und fuhr deshalb fort: »... Verehrer hast?«
    »Verehrer«, sagte sie mit einem verächtlichen Blick. »Pah! Sie scharen sich geradezu um mich, diese Möchtegern-Verehrer, von denen du sprichst. Aber wie kann ich sie zur Kenntnis nehmen? Ich bin Künstlerin. In Herz, Geist und Seele trage ich ein Bild von wahrer männlicher Schönheit, dem kein Mann aus Fleisch und Blut nahekommen kann. Das und nur das kann

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