AZRAEL
»Und an deiner Mutter.«
Mark setzte sich kerzengerade auf. »Das ist nicht wahr?«
»Ich fürchte, doch«, sagte Petri leise.
»Sie lügen!« fuhr ihn Mark an. »Meine Mutter hat niemals Drogen genommen!«
»Mark, bitte«, sagte sein Vater, aber Mark ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern schrie ihn erneut und noch lauter an: »Das ist nicht wahr!«
»Vielleicht ist es besser, wenn ich den Rest der Geschichte erzähle«, sagte Petri. »Ich habe vielleicht ein wenig mehr... Abstand.«
»Sie?!« fauchte Mark. »Ich dachte, Löbach und Sie wären gute Freunde gewesen?«
»Das waren wir auch, aber jemanden zu mögen bedeutet nicht, alles gutheißen zu müssen, was er tut. Was dein Vater erzählt, ist die Wahrheit, Mark. Deine Mutter war tablettensüchtig, schon lange vor der Geschichte mit Löbach. Valium. Schlaftabletten, Schmerzmittel... du kennst das ja. Sie nahm alles, was sie bekommen konnte.«
»Von Ihnen, nehme ich an.«
»Von mir und von anderen«, bestätigte Petri ungerührt. »Ja. Als ich merkte, wie es um sie stand, habe ich ihr nichts mehr gegeben — aber vergiß nicht, welchen Beruf dein Vater hat. Es war eine Kleinigkeit für sie, an alles heranzukommen, was sie haben wollte. Auf diese Weise ist sie wahrscheinlich auch in Löbachs Drogengruppe hineingerutscht. Sie haben sich damals einmal die Woche getroffen, um gemeinsam auf einen Trip zu gehen. Du weißt, wo.«
»In... in einem alten Keller«, murmelte Mark. Die Tür öffnete sich weiter, und dahinter war etwas. Etwas Großes, Häßliches, das herauswollte.
»In der Fabrik deines Vaters, ja«, bestätigte Petri. »Wir haben das meiste erst später von der Polizei erfahren, aber es muß wohl so gewesen sein, daß sie sich mindestens zwei Jahre lang regelmäßig dort trafen. Die meisten waren nicht älter als du damals - elf, zwölf Jahre. Löbach war so eine Art Guru für sie, auch wenn das Wort damals noch nicht so in Mode war wie heute. Sie haben dieses AZRAEL gemeinsam eingenommen, und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was Löbach uns später erzählt hat, dann muß es seine kühnsten Erwartungen noch übertroffen haben. Der perfekte Supertrip, ohne Nebenwirkungen und ohne Suchtgefahr.«
»Und was ist passiert?« fragte Mark. Warum fragte er überhaupt? Er wußte es. Er hatte es im Traum gesehen. Er hatte sie alle umgebracht.
»Das wissen wir nicht«, sagte Petri. »Nicht genau. Wir wissen auch nicht genau, wie du in die Gruppe hineingekommen bist - vielleicht über deine Mutter oder über Löbachs Tochter. Du warst damals mit ihr befreundet, erinnerst du dich?«
Mark schüttelte den Kopf. Diese Information wurde von der lautlosen Stimme in seinem Inneren nicht bestätigt.
»Irgend etwas ist passiert«, fuhr Petri fort. »Etwas Entsetzliches. Ich vermute, irgendeine Nebenwirkung AZRAELs, mit der Löbach nicht gerechnet hat. Alles, was wir wissen, ist, daß es zu einer Katastrophe kam. Von den dreizehn Mitgliedern der Gruppe waren vier tot, und sechs weitere trugen irreparable geistige Schäden davon.«
»Und die drei anderen?« fragte Mark.
»Einer war Löbach selbst«, antwortete Petri. »Die beiden anderen du und deine Mutter. Du hattest einen Schock und schwere Vergiftungserscheinungen, aber irgendwie hast du es verkraftet. Vielleicht, weil du noch nicht lange genug dabei warst.«
»Nur meine Mutter und ich sind davongekommen?« fragte Mark. »Was für ein Zufall.«
»Keineswegs«, antwortete Petri. »Allerhöchstens insofern, daß ich als erster Arzt bei euch war - weil dein Vater mich gerufen hat. Natürlich habe ich mich zuerst um dich und deine Mutter gekümmert, und dann um die anderen. Vielleicht war es das. Du hast es jedenfalls überstanden. Deine Mutter hatte weniger Glück.«
»Wieso?«
»Weil sie sich an alles erinnerte, Mark«, antwortete sein Vater. »Sie ist nie damit fertig geworden. Sie hat die Wirkung des AZRAEL überstanden, aber sie ist an dem zerbrochen, was sie getan hat.«
»Das... das ist nicht wahr«, stammelte Mark. »Ich glaube dir nicht. Du lügst. Ihr lügt beide!«
»Nein, Mark, das tun wir nicht«, sagte Petri. »Und du weißt es. Vielleicht noch nicht jetzt, aber bald. Du wirst dich erinnern. Jetzt, wo du einmal weißt, was wirklich geschehen ist, werden deine Erinnerungen zurückkommen. Wahrscheinlich ziemlich schnell. Ich hoffe, du wirst damit fertig.«
»Ihr lügt!« schrie Mark erneut. »Das ist alles nicht wahr! Ich glaube euch nicht! Löbach war bis gestern noch auf freiem
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