AZRAEL
Fuß! Er war —«
»Er ist nie verhaftet worden«, unterbrach ihn sein Vater sanft.
»Und das soll ich glauben?« Mark lachte böse. »Vier Tote und sechs andere so gut wie tot, und Löbach soll nicht belangt worden sein? Wem willst du das erzählen?«
»Die Polizei hat niemals herausgefunden, daß er hinter der Sache gesteckt hat«, sagte sein Vater. »Offiziell war es einfach ein Drogenunfall. Eine Gruppe Jugendlicher, die mit dem Feuer gespielt und sich dabei verbrannt hat. Löbachs Name ist nicht einmal gefallen. Er war nie in Verdacht.«
Mark starrte seinen Vater an. Er wußte genau, was seine Worte wirklich bedeuteten, aber er weigerte sich einfach, es zu glauben. Nicht einmal sein Vater würde das tun.
»Weil du ihn gedeckt hast«, flüsterte er.
Sein Vater schwieg.
»Warum? Aus Freundschaft? « So, wie er das Wort aussprach, hörte es sich an wie ein Fluch. Petri fuhr sichtbar zusammen, aber das Gesicht seines Vaters blieb starr.
»Nein«, sagte er mit leiser, ausdrucksloser Stimme. »Ich hätte ihn umgebracht, Mark. Wenn Petri mich nicht zurückge halten hätte, hätte ich ihn damals getötet. Ich habe ihn gedeckt, um dich zu schützen. Dich und deine Mutter.«
»Oh ja, und Löbach gleich mit«, sagte Mark höhnisch. »Den Mann, der uns das alles angetan hat - wenn es die Wahrheit ist.«
»Wir hatten keine Zeit, um nachzudenken«, sagte sein Vater. »Die Polizei war bereits auf dem Weg. Wir haben deine Mutter und dich weggebracht, und Löbach auch. Was hätten wir tun sollen? Wenn die Polizei Löbach verhört hätte, wäre alles herausgekommen. Wir hatten keine Wahl!«
»Ich verstehe«, sagte Mark düster. Er starrte den Arzt an, und sein Blick mußte regelrecht haßerfüllt sein, denn Petri wich instinktiv einen halben Schritt vor ihm zurück. » Deshalb sind die anderen nicht durchgekommen, nicht? Nicht, weil Sie uns als erste behandelt haben, Doktor, sondern weil Sie uns als einzige behandelt haben. Ihr habt meine Mutter und Löbach und mich weggebra cht und die anderen einfach ver recken lassen!«
»So war es nicht«, sagte sein Vater scharf. »Der Doktor hat getan, was in seiner Macht stand, aber es war zu spät.«
»Zu spät für wen?!« fragte Mark. »Für dich? Worum hattest du Angst? Um mich und Mutter oder um deinen guten Ruf? Du wolltest uns schützen, wie? Und du hast keine Sekunde lang daran gedacht, daß es deiner Firma schaden könnte, wenn die Geschichte herauskäme?«
Sein Vater sagte nichts, aber er sah plötzlich sehr betroffen aus. Der Schmerz, der bisher nur in seinem Blick gewesen war, breitete sich auf seinem ganzen Gesicht aus, wie ein Tintenfleck in einem Blatt Papier. Es war, als altere er vor Marks Augen in wenigen Sekunden um ein Jahrzehnt. Schließlich drehte er sich wortlos herum, stellte sein Glas auf den Tisch und verließ mit langsamen Schritten die Bibliothek.
»Das war sehr grausam von dir, Mark«, sagte Petri leise. »Und ungerecht.«
» Ungerecht?! « Mark schrie das Wort beinahe. »Sie wissen ja nicht, was Sie da reden, Doktor.«
»Dein Vater trägt keine Schuld an dem, was passiert ist.« Petri fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Er sah sehr müde aus. »Vielleicht hast du sogar recht, und wir hätten all das nicht tun dürfen, Mark. Aber wir wollten dich nur schützen. Dich und deine Mutter. Dein Vater hat sie sehr geliebt, Mark. Er tut es noch heute.«
»Mein Vater weiß nicht einmal, was das Wort Liebe bedeutet«, sagte Mark bitter.
Petri seufzte. »Mark, du -«
»Lassen Sie mich in Ruhe!« fiel ihm Mark ins Wort. »Bitte, Doktor Petri - i ch habe genug gehört. Mehr, als ich wollte.«
»Aber du hast anscheinend nicht -«
Petri hatte anscheinend nicht begriffen, wie es in Mark wirklich aussah. Aber seine Kraft war aufgebraucht. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, und er wollte es auch gar nicht mehr. In seinem Kopf kreiste ein außer Kontrolle geratenes Kaleidoskop aus Bildern, Worten, Erinnerungen und Gefühlen, und nichts von alledem war positiv. Er wollte schreien, irgend etwas packen und zerschlagen irgend etwas tun nur nicht mehr dasitzen und sich diesem schrecklichen Wissen stellen, daß Petri und sein Vater die Wahrheit gesagt hatten. Ohne Vorwarnung sprang er auf und riß den Arm in die Höhe, wie um Petri tatsächlich zu schlagen.
Aber er tat es nicht. Petri prallte zurück und starrte ihn entsetzt an, aber Mark stand einfach sekundenlang da, zitternd, mit erhobenem Arm und verzerrtem Gesicht, ehe er auf dem Absatz
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