AZRAEL
Anlauf nehmen konnte, reichte die Wucht, mit der er seinen eigenen Schädel gegen den stählernen Türrahmen rammte, doch aus, um ihn auf der Stelle zu töten.
18. Kapitel
K ommissar Sendig legte den Telefonhörer mit einer übertrieben präzise wirkenden Bewegung auf die Gabel zurück. Er hatte während der vergangenen halben Stunde nicht nur mehrere, sondern eine ganze Menge Telefongespräche geführt, und obwohl Bremer die ganze Zeit über im Zimmer gewesen war, hatte er nicht alles verstanden – was nicht etwa daran lag, daß er zu leise oder zu laut gesprochen hätte oder in einer fremden Sprache. Vielmehr hatten einige dieser seltsamen Telefonate aus wenig mehr bestanden, als daß Sendig seinen Namen genannt, die eine oder andere Andeutung gemacht und dann die meiste Zeit einfach nur zugehört hatte. Eines aber war ihm in dieser Zeit endgültig klargeworden (nein. Gewußt hatte er es schon lange. Aber jetzt gab es nicht einmal mehr eine Möglichkeit, die Augen davor zu verschließen): daß Sendig sehr viel mehr wußte, als er zugab.
Er wartete sekundenlang vergebens darauf, daß Sendig endlich etwas sagte, dann hörte er auf, ihn anzustarren, und drehte sich statt dessen in seinem Stuhl herum, um einen langen, aufmerksamen Blick durch den Raum zu werfen. Das hatte er schon ein halbes Dutzend Mal getan, seit sie hereingekommen waren und Sendig angefangen hatte zu telefonieren, aber der Anblick überraschte ihn selbst jetzt beinahe ebensosehr wie im allerersten Moment. Dieses Zimmer paßte so wenig zu Sendig, wie es nur vorstellbar war. Immerhin war sein grauhaariges Gegenüber nicht irgendwer, sondern der Leiter der Mordkommissio n, und Bremer hatte ganz automa tisch unterstellt, daß er ein großzügiges und vor allem repräsentatives Büro sein eigen nennen würde. Das genaue Gegenteil war der Fall. Sendigs Büro war nicht nur winzig, der einzige passende Ausdruck, der ihm dafür einfiel, war schäbig. Der Raum maß kaum fünf mal fünf Schritte und hatte nur ein einziges Fenster, das ungefähr so breit wie ein zusammengefaltetes Handtuch war, und das Mobiliar mußte älter sein als s ein Besitzer, allerdings nicht annähernd so gut gepflegt. Das Vorzimmer, durch das sie gerade gekommen waren und in dem gleich drei Sekretärinnen samt Computern, Telefaxgeräten und allem anderen technischen Schnickschnack Dienst taten, war gut dreimal so groß wie Sendigs eigentliches Büro. Er fragte sich, ob dieser Umstand etwas darüber aussagte, wie es in Sendig aussah - und wenn ja, was.
»Das ist wohl... seltsam«, sagte Sendig. Bremer drehte sich wieder zu ihm herum und bekam gerade noch den Rest der Kopfbewegung mit, mit der Sendig auf das Telefon vor sich gedeutet hatte.
»Was?«
»Dieses letzte Gespräch.« Sendig rollte seinen Stuhl weit genug vom Schreibtisch zurück, um eine Schublade aufziehen zu können, und begann hektisch darin herumzukramen. »Raten Sie, wer das war.«
Bremer riet nicht. Er war nicht in der Stimmung für Small talk. Schon seit gestern nacht nicht mehr.
»Na ja, macht auch nichts«, fuhr Sendig fort. Er hatte sich so weit vorgebeugt, daß Bremer sein Gesicht nicht mehr sehen konnte, und dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen, mußte sich der größte Teil seines Kopfes in der Schreibtischschublade befinden. »Der Name hätte Ihnen sowieso nichts gesagt. Es war jemand, der mir einen Gefallen schuldig ist.«
Er richtete sich wieder auf, zog eine Pistole samt Schulterhalfter aus der Schublade und placierte sie mit durch und durch zufriedenem Gesichtsausdruck vor sich auf dem Tisch. »Gut. Ich dachte schon, ich hätte sie irgendwo verkramt. Peinlich, peinlich.«
»Und was für ein Gefallen war das?« fragte Bremer verärgert. Sendig bestimmte noch immer die Spielregeln, ganz gleich, was er auch versuchte.
»Wir können Ihrer kleinen Freundin jetzt sagen, wo ihr Mann ist«, antwortete Sendig.
»Ich kenne die Frau kaum«, antwortete Bremer. »Sie ist nicht meine Freundin.«
»Aber Hansen war doch Ihr Partner, oder?«
»Seit ein paar Tagen«, antwortete Bremer. »Aber das ändert nichts daran, daß er ein Kollege ist.«
»Oh ja, und Kollegen halten zusammen, sicher.« Sendig zog die P istole aus dem Halfter, ließ das Magazin herausschnappen und verzog die Lippen, als er feststellte, daß es leer war.
»So ist es«, sagte Bremer, nun schon in hörbar gereizterem Ton. Was für ein Spiel spielte Sendig jetzt schon wieder mit ihm? Aber dann bemerkte er etwas, was ihm bisher entgangen
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