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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hinweg an. »Vielleicht ist es ja Zufall, daß er sich ausgerechnet jetzt bei mir meldet. Nach annähernd fünf Jahren.«
    »Ich dachte, Sie glauben nicht an Zufälle.«
    »Tue ich auch nicht.« Sendig faltete den Computeraus druck zusammen. »Also gut. Sie wollen Antworten? Hier. Lesen Sie.«
    Er reichte Bremer das Blatt und unterstrich seine Worte mit einer entsprechenden Geste. Bremer nahm es verwirrt, faltete es wieder auseinander und warf einen Blick darauf. Es enthielt eine Anzahl Namen, Adressen und Uhrzeiten, mehr nicht.
    »Was ist das?«
    »Fällt Ihnen nichts auf?« fragte Sendig.
    Bremer sah noch einmal und genauer hin - und zog überrascht die Augenbrauen zusammen. Auf dem Blatt standen mehr als ein Dutzend Namen, die ihm allesamt nichts sagten. Alle, bis auf einen. »Löbach?«
    »Das«, antwortete Sendig mit sonderbarer Betonung, »ist eine Aufstellung aller erfolgreichen oder versuchten Selbstmorde innerhalb der letzten zwölf Stunden. Aller, die uns bisher gemeldet wurden, heißt das.«
    »Das ist eine Menge«, sagte Bremer. Er war nicht unbedingt erschüttert, aber doch in einem Zustand, der dem nahekam. Was er in der Hand hielt, war plötzlich mehr als ein Stück Papier. Es waren anderthalb Dutzend menschlicher Schicksale, die innerhalb der letzten Stunden ausgelöscht worden waren.
    »Und die Liste ist nicht einmal komplett«, sagte Sendig. »Mogrod steht noch nicht drauf. Ebensowenig wie Professor Artner.«
    Im ersten Moment konnte Bremer mit diesem Namen nichts anfangen, aber dann erinnerte er sich wieder an das Gespräch, das sie im Wagen vor Sillmanns Haus geführt hatten. »Aber sagten Sie nicht, er hätte einen Herzanfall bekommen?«
    »Deshalb steht er ja auch nicht auf der Liste«, antwortete Sendig. »Aber das bedeutet nicht, daß er nicht eigentlich daraufgehört. Sehen Sie sich den letzten Namen an, ganz unten.«
    Bremer gehorchte. »Heckel?« Obwohl er einen Moment angestrengt nachdachte, sagte ihm dieser Name nichts. Er sah Sendig nur ratlos an.
    »Sie können ihn nicht kennen«, sagte Sendig. »Ich schon. Der Mann war Arzt. Pathologe, um genau zu sein. Er ist vor fünfeinhalb Jahren in Pension gegangen - frühzeitig und auf eigenen Wunsch. Raten Sie, was einer der letzten Fälle war, die er bearbeitet hat.«
    »Sillmann?«
    »Der Kandidat hat hundert Punkte«, sagte Sendig. Er lächelte, aber seine Augen taten es nicht. »Wissen Sie was, Bremer? Ich biete Ihnen eine Wette an. Ich wette, daß diese Liste noch nicht komplett ist. Und daß ich Ihnen ein paar Namen nennen kann, die bis heute abend darauf erscheinen werden. Schlagen Sie ein?«
    Er streckte Bremer tatsächlich die Hand entgegen, aber Bremer rührte sich nicht. Sendig blieb einen Moment in einer fast lächerlich vorgebeugten Haltung stehen, dann ließ er sich auf seinen Stuhl zurücksinken. Bremer war jetzt vollkommen sicher, daß das, was er bisher für Nervosität gehalten hatte, in Wahrheit Angst war.
    »Also gut«, seufzte Sendig. »Warum nicht? Ich kann es Ihnen ebensogut jetzt erzählen wie später. Haben Sie das Bild noch?«
    Bremer griff in die Jackentasche und zog das Foto aus Mogrods Dunkelkammer heraus. Es war jetzt vollkommen schwarz. Nachdem er das Bild aufgehoben und trockengewischt hatte, hatte die Entwicklerflüssigkeit verspätet ihren Dienst getan und das Blatt in eine identische Kopie der übrigen Fotos verwandelt, die in der Chemiebrühe auf dem Boden schwammen. Sowohl der unheimliche Umriß, den Bremer darauf erkannt hatte, als auch das, was Sendig so augenscheinlich zu Tode erschreckt hatte, waren verschwunden. Trotzdem zitterten Sendigs Hände wieder leicht, als er es entgegennahm, und er starrte es zu lange und zu intensiv an. Für ihn war es ganz eindeutig mehr als ein schwarzes Blatt Fotopapier.
    »Was haben Sie darauf gesehen, Bremer?« fragte er.
    »Gesehen? Ich verstehe nicht... Dasselbe wie Sie, vermute ich.«
    Sendig lächelte ein sehr seltsames, fast melancholisch wirkendes Lächeln. »Das bezweifle ich«, sagte er. Ganz unvermittelt ließ er das Foto auf den Schreibtisch sinken, schob es ein kleines Stück von sich fort und nahm es dann noch einmal zur Hand, um es herumzudrehen, so daß die geschwärzte Vorderseite unten lag. Als ertrüge er es nicht , es noch weiter anzusehen, dachte Bremer.
    »Was ist das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können, Bremer?« fragte Sendig nach einer Weile.
    Bis zu meiner Pensionierung mit dir zusammenarbeiten zu müssen, dachte Bremer. Natürlich hätte er

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