AZRAEL
Handrücken brannten wie Feuer. Er erinnerte sich an die Flammen, in die er praktisch hineingegriffen hatte, und allein die Erinnerung an diesen Schmerz ließ ihn wieder aufstöhnen. Wahrscheinlich hatte er sich das Fleisch bis auf die Knochen versengt Bremer brachte kaum den Mut auf, die Arme zu heben und seine Hände zu betrachten. Er ahnte, welcher Anblick ihn erwarten würde.
Er täuschte sich.
Er hatte sich tatsächlich fünf oder sechs Fingernägel abgebrochen, von denen einige leicht bluteten, aber seine Hände waren darüber hinaus beinahe unverletzt. Sie waren zerschunden und schmutzig, aber nicht verbrannt.
»Was ist?« fragte Sendig. »Ist Ihnen nicht gut?«
. Bremer drehte die Hände vor den Augen, schloß sie zu Fäusten und öffnete sie wieder. Er hatte den Schmerz gespürt. Er hatte gesehen, wie die Hitze sein Fleisch zu brauner Schlacke verkohlt hatte. Aber seine Haut war unversehrt.
»Bremer«, sagte Sendig.
»Schon gut«, sagte Bremer. »Ich... freue mich nur, daß ich noch ganz bin.«
»Ich auch«, pflichtete ihm Sendig bei. »Einen Moment lang sah es gar nicht danach aus. Was war los? Wollten Sie den Jungen verbrennen lassen?«
»Ich... hatte wohl so etwas wie einen Blackout«, sagte Bremer ausweichend; Er versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen, ließ endlich die Hände sinken und stand mühsam auf. »Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung. War wohl ein bißchen viel auf einmal.«
Sendig sah ihn scharf an. Er tat es auf eine ganz bestimmte Art, die längst nicht nur besorgt war. Er sah aus, dachte Br e mer, als. . . erwartete er etwas. Etwas ganz Bestimmtes. »Es war wieder eine von diesen Visionen, nicht wahr?« fragte er.
Bremer fuhr sichtbar zusammen. Schon das Wort reichte, den schwarzen Schatten wieder vor seinen Augen erstehen zu lassen, und für einen winzigen Moment glaubte er wieder die Hitze zu spüren und den unvorstellbaren Schmerz. Er antwortete nicht auf Sendigs Frage, sondern drehte sich statt dessen herum und machte einen Schritt in Marks Richtung, blieb aber dann noch einmal stehen und sah über die Straße.
Die beiden Wagen brannten immer noch, wenn auch längst nicht so lichterloh, wie er geglaubt hatte, und das Feuer hatte auch nicht auf die benachbarten Häuser übergegriffen. Er konnte die Wracks allerdings kaum mehr sehen, denn die Gasse war von Dutzenden Schaulustiger versperrt, die, durch den Lärm und den Feuerschein angelockt, herbeigelaufen waren. Zahlreiche Autos hatten rings um sie herum angehalten, einige mit noch laufendem Motoren, aber von ihren Fahrern verlassen, und in der Ferne hörte er Sirenengeheul. Bremer nahm den Anblick einige Sekunden lang ganz bewußt in sich auf und versuchte ihn mit dem zu vergleichen, was er dort drüben gesehen hatte, dann drehte er sich wieder herum, ging die zwei Schritte zu Sendigs Wagen und betrachtete sein eigenes Gesicht im Spiegel.
Es war verschwitzt und schmutzig, und seine Haut war rot, als hätte er einen leichten Sonnenbrand, aber nicht verbrannt. Er hatte die Flammen gefühlt, die seine Haut versengt hatten, die Hitze, die sich wie eine gierig fressende Ratte in seinen Schädel hineingegraben hatte, und es war real gewesen. Er wußte mit absoluter Sicherheit, daß sie ihn getötet hätte, wäre er auch nur einige Sekunden länger dort drüben geblieben, aber er war unverletzt.
Zutiefst erschüttert richtete sich Bremer wieder auf, blieb lange Sekunden reglos stehen und wandte sich dann zuerst zu Sendig, dann zu Mark um, der noch immer in der gleichen Haltung wie zuvor an Sendigs Wagen lehnte. Sein Gesicht war leer, und seine Augen blickten starr ins Nichts.
»Was ist los mit Ihnen, Bremer?« fragte Sendig erneut. Er klang jetzt überhaupt nicht mehr besorgt Seine Stimme war fordernd, befehlend, aber zugleich von einem unüberhörbaren Vibrieren kaum mehr zurückgehaltener Panik erfüllt. »Sie haben etwas gesehen, nicht wahr?«
Bremer sah ihn nur an, dann ließ er sich neben Mark in die Hocke sinken und streckte die Hände nach ihm aus. Marks Gesicht war mit Schweiß bedeckt, aber eiskalt. Die Wunde in seinem Arm blutete immer noch leicht, obwohl Sendig tatsächlich einen Streifen aus seinem Hemd gerissen und die Arterie damit abgebunden hatte. Bremer zog den blutgetränkten Stoff über der Verletzung mit spitzen Fingern auseinander. Sein Gesicht verdüsterte sich, als er die Wunde sah.
»Das ist eine Schußverletzung«, sagte er.
»Ich weiß«, antwortete Sendig. »Ich habe ihm gesagt, der Arzt ist
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