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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Verletzungen«, antwortete der Arzt. »Ich meine, er ist nicht durch eine Glasscheibe gestürzt oder so was. Ich bin ziemlich sicher, daß er sie sich absichtlich zugefügt hat.«
    »Das ... denke ich auch«, sagte Bremer schleppend. Ein wenig hastiger, als ihm selbst lieb war, richtete er sich auf und fokussierte seinen Blick auf einen Punkt zwanzig Zentimeter über der Leiche; ein Trick, den er vor langen Jahren einmal von einem älteren Kollegen gelernt und der ihm schon oft geholfen hatte. Der Leichnam wurde zu einem verschwommenen Schemen vor seinen Augen, aber für alle anderen mußte es so aussehen, als blicke er ihn noch immer konzentriert an.
    »Es sieht fast so aus, als hätte er versucht, etwas zu schreiben«, sagte der Arzt.
    Mit einem Skalpell?! dachte Bremer entsetzt. Er gestattete dem Bild vor seinen Augen noch immer nicht, wieder scharf zu werden, aber trotzdem hatte der junge Mann wahrscheinlich recht - was da in krakeliger Druckschrift drei Zentimeter tief in das Fleisch des Toten eingeritzt war, waren Buchstaben, auch wenn er sie nicht entziffern konnte.
    »Das ist... sehr interessant«, sagte er mühsam. Sein Magen begann Purzelbäume in seinem Leib zu schlagen. Er mußte hier weg, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, dem jungen Arzt den Abend endgültig zu verderben, indem er ihm über die Schuhe kotzte. »Die Kollegen von der Spurensicherung sind unterwegs. Sie werden es sich genauer ansehen.«
    »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten«, antwortete der Arzt. »Ich nehme an, der Mann war schon vorher nicht mehr zurechnungsfähig. Aber ich dachte, es wäre besser, wenn ich es Ihnen zeige.«
    Bremer richtete sich nun endgültig auf und trat zwei volle Schritte zurück. Er spürte selbst, daß er kreidebleich geworden war und daß seine Hände mittlerweile heftig zitterten.
    »Das war vollkommen richtig, Herr Doktor«, sagte er. »Wie gesagt - meine Kollegen sind unterwegs. Sie müßten eigentlich jeden Moment hier sein. Zeigen Sie ihnen, was Sie entdeckt haben.«
    Damit drehte er sich um und begann mit schnellen Schritten auf das Haus zuzugehen. Der Arzt sah ihm verwirrt nach, aber das war Bremer mittlerweile egal. Er hatte nur noch die Wahl, das Gesicht oder den Inhalt seines Magens zu verlieren.
    Bremer verstand sich selbst nicht mehr ganz. Der Anblick - vor allem zusammen mit dem, was vorher geschehen war – war schlimm, aber auch wieder nicht so schlimm.
    Mit noch immer leicht zitternden Händen hob er das Funkgerät und rief seinen Kollegen oben im achten Stock. »Wie sieht es aus?« fragte er, kaum daß Clausen sich gemeldet hatte. »Kommt ihr vorwärts?«
    »Mit der Tür?« Er konnte Clausens Kopfschütteln regelrecht hören. »Ohne entsprechendes Werkzeug ist da nichts zu machen. Ein Safe ist nichts dagegen.«
    »Das will ich mir selbst ansehen«, antwortete Bremer. »Komm runter und halt hier die Stellung, bis die Kollegen eintreffen.«
    »Ganz wie du meinst.« Clausen klang ein wenig beleidigt, aber auch das war Bremer mittlerweile ziemlich gleich. Er mußte hier weg. Von diesem Toten ging etwas aus, was ihn beunruhigte - und das war noch vorsichtig ausgedrückt.
    Voller Ungeduld wartete er, daß die Haustür aufging und sein Kollege herauskam. Clausen blickte erstaunt und setzte zu einer Frage an, doch Bremer gab ihm keine Gelegenheit, sie zu stellen. Er trat rasch an ihm vorbei ins Haus, wobei er mit einer geschickten Drehung des Oberkörpers der zufallenden Tür auswich, steuerte den Aufzug an und rannte die letzten Schritte, als sich die Türen zu schließen begannen. Seine Hand schnellte vor und glitt durch die Lichtschranke, und als er in die Kabine trat, war sein Schwung so groß, daß er beinahe gegen die Rückwand geprallt wäre. Es hätte des Anblicks seines eigenen schreckensbleichen Gesichts in dem deckenhohen Spiegel davor kaum mehr bedurft, um Bremer klarzumachen, was er hier tat. Es war nichts weniger als eine Flucht. Aber wovor eigentlich?
    Die Lifttüren begannen sich erneut zu schließen. Bremer hob automatisch die Hand nach den Kontrollknöpfen, bemerkte dann aber, daß das Licht für die achte Etage bereits brannte. Nervös ließ er den Arm wieder sinken, fuhr sich mit dem Handrücken über das Kinn und zählte in Gedanken und mit angehaltenem Atem bis zehn; ein weiterer Trick, der ihm oft geholfen hatte, gefaßter zu erscheinen, als er war. Heute funktionierte er nicht. Seine Nervosität legte sich tatsächlich ein wenig , aber die Beunruhigung blieb. Was war nur

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