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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wußte nicht, ob er über diese Erkenntnis wirklich erleichtert sein sollte. Sie bewies ihm zwar, daß er nicht verrückt war - aber sie machte das unsichtbare Etwas, das sie verfolgte, auch ein ganzes Stück realer. »Das ist der Junge«, sagte er.
    »Der Junge? Sillmann?«
    »Berger, dieser Idiot«, murmelte Haymar. »Ich habe ihm damals schon gesagt, er soll dieses Monsterbaby erledigen. Aber er hat nicht auf mich gehört.« Wir werden das nachholen, fügte er grimmig in Gedanken hinzu. Jetzt.
    Er ignorierte Andres' verwirrte Blicke, eilte rasch an ihm und Lech vorbei und erreichte als erster die weißlackierte Tür am anderen Ende des Korridors. Sie war so schwer, daß er beide Hände zu Hilfe nahmen mußte, um sie zu öffnen. Dahinter begann eine weitere, steil nach unten führende Treppe. Sie war von zwei Neonleuchten erhellt, deren untere jedoch einen defekten Starter zu haben schien, denn sie ging immer wieder aus. Trotzdem konnte Haymar die Eisentür erkennen, die sich am unteren Ende der Treppe befand. Das flackernde Licht und die unheimlichen Geräusche, die sie umgaben, verliehen der Szenerie zusätzlich etwas Gespenstisches.
    »Also gut«, sagte er. »Hört mir zu: Gebt auf den Jungen acht - er ist die größere Gefahr. Wenn er irgend etwas tut, und wenn er nur hustet, dann schießt!«
    »Berger hat gesagt, er wäre tabu«, erinnerte Andres. »Außerdem ist er fast noch ein Kind.«
    »Berger ist mit ziemlicher Sicherheit tot«, antwortete Haymar grimmig. »Und dieser Junge ist alles andere als ein Kind, glaub mir. Er ist ein Killer. Wenn Berger noch lebt, bringen wir ihn hier raus. Wenn nicht, erschießt den Jungen und die beiden Bullen, und dann verschwinden wir. Los!«
    54. Kapitel
    S illmann weinte. Er tat es lautlos und nicht so, wie andere es vielleicht getan hätten - sein Gesicht war eine steinerne Maske, und er vergoß nicht eine einzige Träne, und trotzdem konnte Bremer den unvorstellbaren Schmerz spüren, den dieser große, massige Mann empfand, während er seinen sterbenden Sohn in den Armen wiegte.
    Bremer wußte nicht, ob Mark bereits tot war oder im Sterben lag, aber wenn das überhaupt ein Unterschied war, dann war er nur in Sekunden zu messen. Im Augenblick, in dem Mark gestürzt war, hatte er zur Tür gesehen, und er war vollkommen davon überzeugt gewesen, daß der Schatten erscheinen mußte. Für einen Moment hatte er sich sogar eingebildet, ihn zu sehen - aber diesmal war es tatsächlich nur Einbildung gewesen. Von draußen drang Lärm herein - Geräusche, die wie Schreie klangen, vielleicht auch wie Schüsse -, aber das alles war bedeutungslos. Vielleicht hatten sie sich getäuscht, und mit Marks Tod war wirklich alles vorbei.
    Er hörte, wie Sendig sich erhob und mit schleppenden Schritten näher kam, und sah auf. Was er erblickte, erschreckte ihn. Sendigs Gesicht war das eines Wahnsinnigen: eine verzerrte Grimasse mit brennenden Augen und hektisch geröteten Wangen. Speichel lief aus seinen Mundwinkeln, und er knirschte mit den Zähnen. Er hatte seine Waffe wieder aufgehoben. Ihre Mündung schwankte zwischen Sillmann, seinem Sohn und Bremer hin und her.
    »Ist er... tot?« fragte er. »Ist es vorbei?«
    Sillmann hob den Kopf. Seine Hand strich immer wieder über Marks Wangen und Stirn, als hielte er ein fieberndes Baby in den Armen, das er trösten wollte, und in den unsagbaren Schmerz in seinen Augen mischte sich - vielleicht zum letzten Mal - noch einmal eine Empfindung, die er so lange und so perfekt gespielt hatte. »Nein«, sagte er. »Er lebt. Aber er wird sterben.« Er machte eine Kopfbewegung auf die Waffe in Sendigs Hand. »Das ist nicht mehr nötig.«
    »Sie wissen nicht, was Sie da reden!« keuchte Sendig. Die Pistole richtete sich zitternd auf Marks Stirn, und sein Finger krümmte sich um den Abzug. Bremer spannte sich. »Er wird uns alle umbringen!«
    »Er stirbt, Sendig!« sagte Bremer. »Sehen Sie das denn nicht!«
    »Nein!« keuchte Sendig. »Er lebt noch! Er lebt, und solange er am Leben ist, kann er uns umbringen. Er muß — «
    »Aber er ist doch schon tot«, sagte Sillmann beinahe sanft. »Sein Körper lebt noch, aber das ist auch alles.« Er deutete auf die zerbrochene Spritze am Boden. »Ich habe ihn umgebracht, Sendig. Zum zweiten Mal.«
    Bremers Blick folgte der Geste. Langsam streckte er die Hand aus, aber er wagte es nicht, die Spritze zu berühren. Irgend etwas sagte ihm, daß er Sillmann damit verletzt hätte, und trotz allem wollte er ihm nicht weh

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