AZRAEL
Beamten finster und schien noch mehr sagen zu wollen, aber der uniformierte Polizist wandte sich in diesem Moment vollends zu Mark um und sagte:
»Mein Name ist Bremer. Das dort am Telefon ist mein Kollege, Herr Sendig. Und Sie sind …? «
Mark antwortete ganz automatisch. »Ich bin Mark Sillmann«, sagte er.
»Mein Sohn«, fügte sein Vater überflüssigerweise hinzu. »Aber es ist nicht nötig, ihn zu belästigen. Er hat mit der ganzen Geschichte nun wirklich nichts zu tun.«
»Mit welcher Geschichte?« fragte Mark. Was, zum Teufel, ging hier vor?
»Nichts«, sagte sein Vater. »Es ist wirklich nichts. Ich weiß auch nicht, warum man uns damit belästigt.«
»Aber ich bitte Sie, Herr Doktor Sillmann«, sagte Bremer geduldig. »Wir belästigen Sie nicht. Leider ist es nötig, gewisse Nachforschungen anzustellen.«
»Nachforschungen worüber?« wollte Mark wissen. Er versuchte, ein wenig schärfer zu klingen, ohne direkt unhöflich zu werden. Für seinen Geschmack benahm sich sein Vater schon unmöglich genug.
Sendig hängte ein, ohne daß Mark auch nur ein Wort des Abschieds gehört hätte, und sah ihn zum ersten Mal direkt an. »Über Doktor Löbach, Herr Sillmann«, sagte er. »Sie kennen ihn, nehme ich an?«
Mark nickte. »Natürlich kenne ich ihn. Er ist einer unserer ...« Er verbesserte sich. »Er ist ein Angestellter meines Vaters.«
» W ar « verbesserte ihn Sendig. »Es muß heißen, er war ein Angestellter Ihres Vaters. Doktor Löbach ist tot.«
»Tot?« Mark erschrak, beinahe tiefer, als er sich im ersten Moment selbst erklären konnte. Er hatte Löbach gekannt, aber nicht sehr gut. »Was ist passiert? Ein Unfall?«
»Das versuchen wir ja gerade herauszufinden«, antwortete Sendig, wobei er Marks Vater einen bedeutsamen Blick zuwarf, sich aber sofort wieder an Mark wandte und das Thema wechselte. »Was tun Sie hier, wenn ich fragen darf?«
Allmählich begann Mark sich über Sendig zu ärgern. Es war gar nicht so sehr das, was er sagte, sondern vielmehr, wie er es tat. Sendig schien zu jenen Menschen zu gehören, bei denen selbst die Frage nach der Uhrzeit schon wie eine verkappte Provokation klang. Er begann allmählich zu ahnen, warum sein Vater so übler Laune war.
»Ich wohne hier«, antwortete er.
Sendig blieb vollkommen gelassen, obwohl ihm kaum entgangen sein konnte, wie Marks Antwort gemeint war. »Das ist mir klar«, sagte er. »Aber sind Sie nicht seit einigen Jahren in einem Internat? Soviel ich weiß, haben die Ferien noch nicht angefangen.«
Mark wollte antworten, aber sein Vater kam ihm zuvor. »Mein Sohn war eine Weile krank. Nichts Ernstes, aber der Arzt meinte doch, daß er sich ein paar Tage zu Hause erholen sollte. Ich habe mit dem Direktor seiner Schule gesprochen. Es geht in Ordnung.«
Mark war ziemlich überrascht, wie gut er sich selbst in der Gewalt hatte. Er war sicher, daß Sendig ihm seine Verblüffung über diese Antwort nicht ansah - aber er suchte auch vergebens nach irgend etwas Verschwörerischem oder Warnendem im Blick seines Vaters. Konnte es sein, daß Prein ihm diese Geschichte wirklich erzählt hatte?
»Sie sehen auch nicht besonders fit aus«, sagte Bremer. »Eine Sommergrippe, hm?«
Mark zuckte mit den Schultern. »Es war nichts Ernstes. Immerhin hat es mir ein paar Tage Extraurlaub eingebracht.«
»Seit wann sind Sie hier?« fragte Sendig.
»In Berlin? Seit heute morgen. Warum?«
»Nur so.« Sendig machte eine wedelnde Handbewegung und lächelte ungefähr so freundlich wie eine Schlange, die ein Kaninchen mustert. »Ich muß immerzu Fragen stellen. Eine schlechte Angewohnheit, ich weiß. Aber das bringt mein Beruf nun mal mit sich. Bleiben Sie lange in der Stadt?«
»Ein paar Tage«, antwortete Mark kühl. »Allerhöchstens eine Woche - es sei denn, Sie sagen mir jetzt, daß ich die Stadt nicht verlassen darf, ohne mich bei Ihnen abzumelden.«
Sendigs Augen verengten sich ein wenig, aber Mark sah auch, daß Bremer alle Mühe hatte, nicht zu grinsen. Er fragte sich, wieso ausgerechnet diese beiden Beamten zusammenarbeiteten. Er hatte selten zwei Männer gesehen, die so wenig zusammenpaßten wie Bremer und Sendig.
»Das wird wohl nicht nötig sein«, antwortete Sendig. »Wir sind jetzt auch schon fertig - zumindest für den Moment. Möglicherweise haben wir noch ein paar Fragen, die -«
»- Ihnen mein Anwalt viel besser beantworten kann als ich«, unterbrach ihn Marks Vater. »Seine Adresse ist Ihnen ja noch bekannt, oder?« Er stand auf.
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