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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hochgewachsener, dunkler Schemen, nicht wirklich eine Gestalt, sondern vielmehr ein Schatten, dem irgendwie der Körper abhanden gekommen war. Und es war auch nicht wirklich der Scharten eines Menschen, sondern eher eines... Nein, das war verrückt!
    »Sicher nur ein Schatten«, sagte er noch einmal.
    12. Kapitel
    Es war derselbe Traum, und zugleich war es auch vollkommen anders. Diesmal konnte er seine Umgebung genau erkennen, und er sah, daß er sich getäuscht hatte; das, oder der Raum hatte sich verändert. Der Kerzenschein, die wenigen, wenn auch ausgesuchten Möbelstücke und der düstere Gesang der sich wiegenden Gestalten, die im Kreis am Boden hockten, hatten ihm in der ersten Vision eine Behaglichkeit verliehen, die er jetzt nicht mehr besaß. Es war ein Verlies, düster und ohne Fenster und mit gemauerten Wänden, an denen nur hier und da noch die Reste von grauem Betonputz klebten. Auf der anderen Seite war eine Tür, die er beim ersten Mal ebenfalls nicht bemerkt hatte. Und noch etwas war anders: Diesmal war er sich vom ersten Moment an darüber im klaren, daß er träumte. Nichts von alledem, was er zu sehen, was er zu hören oder was er zu fühlen glaubte, besaß irgendeine Substanz. Aber dieses Wissen half nicht. Es machte den Schrecken, mit dem ihn die Vision erfüllte, nicht weniger schlimm, sondern schien ihn im Gegenteil noch zu intensivieren, denn mit diesem Wissen ging ein anderes, schlimmeres Hand in Hand: Real oder nicht, er war in Gefahr, das spürte er deutlich.
    Langsam drehte er sich im Kreis, wobei sein Blick der Bewegung vorauseilte. Er tastete über die am Boden hockenden Gestalten, die Kerzen und den Sekretär – war er das erste Mal schon dagewesen? Er wußte es nicht mehr – und suchte nach etwas Bestimmtem, von dem er im ersten Moment nicht einmal wußte, was es war, nur, daß es da war und daß es ihm angst machte.
    Anders als in einem normalen Traum war er weder unbeteiligter Zuschauer noch hilfloses Opfer oder Gejagter, sondern schien über eine Art Körper zu verfügen, zumindest konnte er sich bewegen. Aber er war nicht direkt beteiligt: Der Kreis der sich wiegenden, an den Händen haltenden Gestalten am Boden war noch immer da, doch diesmal sah ihn niemand an, keine Hände streckten sich ihm entgegen, um ihn festzuhalten, kein Gesicht zerfiel zu einer Zombiegrimasse, die ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrte. Die Luft roch schlecht und scharf, und von irgendwoher kam ein rhythmischer, stampfender Laut, fast wie das Schlagen eines gewaltigen eisernen Herzens.
    Vielleicht war es das ja, dachte Mark: das steinerne Herz eines steinernen Riesen, in dessen Adern der Wahnsinn pulsierte und dessen Gedanken geronnene Furcht waren. Im Wachen hätte er über diese Vorstellung gelächelt, aber jetzt gab sie seiner Furcht neue Nahrung. Er wußte natürlich noch immer, daß er träumte, aber zugleich wußte er auch noch immer mit unerschütterlicher Sicherheit, daß er in Gefahr war. Real oder nicht, was ihn hier bedrohte, war echt. Er war in einem Bereich des Seins gestrandet, der irgendwo zwischen Tod und Leben lag, und der Weg hinaus führte in beide Richtungen: und in beide vielleicht gleich schnell und endgültig.
    Wieder sah er die Tür an. Es war eine typische Albtraumtür: Ihre Proportionen stimmten nicht. Sie war zu niedrig, dafür zu breit und bestand aus massivem Eisen, das irgendwann einmal einen Schutzlack gehabt hatte, nun aber gleichsam gehäutet war; Rost hatte das Metall zerfressen, es zu einer braunen Masse gemacht, die an verklumptes Blut erinnerte, wo sie nicht von schwärenden Beulen übersät war. Es gab kein Schloß, nur eine ausgefranste Wunde mit schwarzen Rändern, vielleicht die Spuren eines Schneidbrenners, mit dem diese Tür einmal gewaltsam geöffnet worden war. Durch diese Bresche in der stählernen Wand schimmerte Licht, das nicht heller, aber doch irgendwie anders war als das hier im Raum.
    Was bedeutete dieser Traum? Mark hatte immer noch Angst – sein Herz hämmerte, und obwohl er seine Hände nicht sehen konnte, spürte er, daß sie zitterten und feucht vor Schweiß waren -, aber nun, wo er sich keiner direkten Gefahr ausgesetzt sah, hatte sie sich ein Stück zurückgezogen, nicht ganz und auch nicht auf Dauer, sondern wie eine giftige Spinne, die zurück ins Zentrum ihres Netzes gekrochen war und dort reglos auf ihre Beute lauerte. Er war sich ihrer Nähe sehr bewußt, trotzdem begann er allmählich so etwas wie Neugier zu empfinden.
    Was bedeutete

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