AZRAEL
Krankenzimmer werden ständig überwacht«, erklärte er. »Die sind da unten mit Videotechnik und Kameras ausgestattet, auf die Hollywood neidisch wäre. Und der ganze Kram fällt ausgerechnet in dem Moment aus, in dem Dr. Armer vor laufender Kamera der Schlag trifft?«
Und fünftens bis du verdammt gut informiert, dachte Bremer. Das alles konnte Sendig nicht in den wenigen Augenblicken erfahren haben, die er gerade telefoniert hatte. Ganz offensichtlich verschwieg ihm sein neuer Partner eine Menge mehr, als er ohnehin schon angenommen hatte, und er machte sich nicht einmal die Mühe, es zu verheimlichen.
Er sagte nichts davon, sondern warf statt dessen einen nervösen Blick auf den Tachometer. Sie fuhren annähernd sechzig. Auf einer Straße, die höchstens für die Hälfte dieser Geschwindigkeit gut war. »Sagen Sie... haben Sie mehr als zehn Gründe, mißtrauisch zu sein?« fragte er.
Sendig sah ihn eine Sekunde lang verständnislos an, dann folgte er Bremers Blick, der nervös an seiner linken Hand und dem letzten verbliebenen Finger hing, der das Lenkrad hielt. Aber er tat Bremer auch den Gefallen, das Steuer wieder fest zu ergreifen und sogar etwas langsamer zu fahren.
»Ich komme auf zwanzig, wenn ich in Ruhe darüber nachdenke«, sagte er. »Aber ich habe keine Lust, dafür die Schuhe auszuziehen. Außerdem möchte ich Ihnen das nicht antun.«
»Sehr rücksichtsvoll«, murmelte Bremer, dann hob er den Blick und sah wieder auf die Straße hinaus. »Das ist nicht der Weg zur Klinik.«
»Wir fahren auch nicht dorthin«, antwortete Sendig. »Jedenfalls nicht gleich.«
»Aber ich dachte -«
»Der Anruf gerade?« Sendig schüttelte den Kopf. »Es ging nicht um Ar tn er. Das habe ich schon heute morgen erfahren, bevor ich zu Ihnen gekommen bin.«
Das überraschte Bremer nicht im mindesten, aber irgend etwas sagte ihm auch, daß Sendig nicht geneigt war, ihm zu erklären, worum es denn nun gegangen war. Allmählich begann er sich zu fragen, warum er überhaupt hier war, aber er sparte es sich auch, diese Frage laut zu stellen. Vielleicht hätte er sogar eine Antwort bekommen, doch er war ziemlich sicher, daß sie ihm nicht gefallen würde. Er drehte den Kopf wieder zur anderen Seite, um aus dem Fenster zu sehen – und fuhr so erschrocken zusammen, daß Sendig um ein Haar das Steuer verrissen hätte und hart auf die Bremse trat.
Sie waren nicht mehr allein im Wagen. Jemand saß hinter ihnen.
Bremer hatte es nur im Spiegel gesehen, und auch da nur aus den Augenwinkeln: ein kaum sichtbares, dunkles Flackern; gerade noch an der Grenze des überhaupt Wahrnehmbaren - aber das war eindeutig kein Schatten gewesen.
Sendig brachte den Wagen mit einem unnötig harten Ruck zum Stehen und fragte erschrocken: »Was ist los?«
Bremer schwieg. Hinter ihnen war nichts. Sie waren allein im Wagen.
»Was ist?« fragte Sendig noch einmal. Täuschte er sich, oder hörte er jetzt deutlich einen Unterton von Häme in seiner Stimme?
»Nichts«, antwortete Bremer. Er starrte noch eine Sekunde lang reichlich verdattert die leere Bank hinter sich an, schüttelte den Kopf und sagte noch einmal: »Es war ... nichts. Ich muß mich wohl getäuscht haben.« Hastig drehte er sich wieder herum.
Sendig blickte ihn zweifelnd an. Er sagte nichts mehr, aber Bremer konnte zur Abwechslung einmal fast seine Gedanken lesen. Es spielte keine Rolle, was sie voneinander hielten – sie beide waren Männer, von denen man nicht erwartete, daß sie sich täuschten.
»Ich dachte für einen Moment, ich hätte etwas im Spiegel gesehen«, fuhr er mit einem nervösen Lächeln fort, »aber wie gesagt: Es war wohl ein Irrtum. Vielleicht nur ein Schatten.«
Sendig antwortete auch darauf nicht, aber er nahm die Hand vom Steuer und drehte den Innenspiegel so, daß er die Rückbank betrachten konnte. Für einen kurzen Augenblick erschien ein sehr konzentrierter Ausdruck auf seinem Gesicht.
Bremer widerstand der Versuchung, ebenfalls in den Rückspiegel zu sehen. Er hatte auch nicht diesen Spiegel gemeint, sondern den Außenspiegel, und darin hatte er ganz deutlich eine Gestalt gesehen, die auf der Rückbank des Wagens saß und sie anstarrte.
So behutsam wie möglich, damit Sendig es auf keinen Fall sah, drehte er Millimeter für Millimeter den Kopf und blickte aus den Augenwinkeln erneut in den Spiegel. Er konnte den spärlichen Verkehr hinter ihnen erkennen, einen Teil der rechten Tür und die Scheibe darüber.
Und die Gestalt!
Sie war da. Ein
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