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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wirklich stürzte rückwärts hindurch die Tür, hinter der das Grauen lau erte und...
    … mit einem erstickten Keuchen hochfuhr. Sein Herz schlug mit kurzen, harten Stößen gegen seine Rippen, und seine Kehle schmerzte von den Schreien, die er ausgestoßen hatte. Er zitterte am ganzen Leib, und im ersten Moment wußte er nicht wirklich, wo er war, sondern wähnte sich weiter in jenem schrecklichen Raum hinter der Eisentür. Alles drehte sich um ihn, Licht und Schatten führten einen irren Veitstanz auf, und er hörte noch immer jenen dröhnenden schweren Herzschlag. Er wußte, daß er wach und der Traum vorüber war, aber zugleich schien es ihm nicht zu gelingen, wirklich in die Realität zurückzukommen. Sein Erwachen war weder ein sanftes Gleiten noch ein jäher Sturz von der einen in die andere Wirklichkeit gewesen, vielmehr schien er in einer klebrigen Membran verstrickt, die beide Welten voneinander trennte und ihn mit zäher Kraft zurückzuhalten versuchte. Er keuchte vor Anstrengung, fiel zurück und setzte sich abermals mit rudernden Armen auf, und in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und sein Vater stürmte herein. Marks Erinnerungen fügten im nachhinein seine polternden schweren Schritte auf der Treppe hinzu, die er wahrgenommen, aber nicht registriert hatte. Offenbar hatte er laut genug geschrien, um seinen Vater am anderen Ende des Hauses zu alarmieren. Sein Gesicht war schreckensbleich, und sein Atem ging so schwer, daß er die Worte nur als kaum verständliches Keuchen hervorstieß: »Mark, was ist los? Was - ?«
    In seinem Gesicht erschien ein neuer, noch größerer Schre c ken, und seine Augen weiteten sich, als sein Blick auf einen Punkt am Boden neben Marks Bett fiel. »Mein Gott, was ist hier passiert?« flüsterte er.
    Mark verstand im allerersten Moment kein Wort. Der Schrecken im Gesicht seines Vaters paßte zu gut zu seinen eigenen Empfindungen in diesem Augenblick, als daß er auch nur auf den Gedanken gekommen wäre, einen besonderen Grund dafür zu suchen. Aber dann folgte er dem Blick seines Vaters und sah die Gestalt, die vor seinem Bett lag, und dieser Anblick zerriß die Membran endgültig, deren klebrige Reste ihn bisher noch festgehalten harten. Noch während er sich mit einem Ruck zur Seite schwang und in einer einzigen fließenden Bewegung halb vom Bett fiel, halb herunterglitt, um neben Marianne niederzuknien, ordneten sich die durcheinanderwirbelnden Bilder in seinem Kopf zu einem Puzzle, das Alptraum und Realität gleichermaßen umfaßte. Nicht alles hatte zu jener surrealistischen Welt des Kellers gehört. Die Stimme, die zweimal seinen Namen gerufen hatte, gehörte Marianne, und der pochende Schmerz in seiner rechten Hand erzählte den Rest der Geschichte: Offensichtlich hatte sich Marianne über ihn gebeugt, um ihn wachzurütteln, weil er im Schlaf geschrien hatte, und ebenso offensichtlich hatte er sie niedergeschlagen.
    »Was zum Teufel hast du getan?!«
    Mark ignorierte den schneidenden Ton in der Stimme seines Vaters ebenso wie dessen verwirrte Gesten. Sie waren beide nahezu gleichzeitig neben Marianne niedergekniet, aber sie schienen auch beide gleich hilflos. Mark streckte die Hände nach Marianne aus, aber er wagte es nicht, sie zu berühren. Seine Gedanken überschlugen sich. Marianne rührte sich nicht. Er konnte nicht sehen, daß sie atmete, und für einen Moment war er felsenfest davon überzeugt, sie getötet zu haben. Seine rechte Hand schmerzte immer heftiger. Er mußte in seinem panischen Kampf gegen den Todesengel mit aller Gewalt zugeschlagen haben. Er hatte sie umgebracht.
    »Was ist denn nur passiert?« fragte sein Vater. Er klang jetzt nur noch erschrocken, nicht mehr zornig und fordernd, und obwohl ihm selbst der Gedanke in dieser Situation geradezu grotesk erschien, begriff Mark vielleicht zum ersten Mal wirklich, daß die herrische Art seines Vaters vielleicht nicht mehr als eine Maske war; eine Gewohnheit, die ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, daß er sie schon gar nicht mehr abstreifen konnte, geschweige denn wollte. Aber er war gar nicht so. Nicht wirklich. Vielleicht war er nicht einmal annähernd so stark, wie Mark bisher geglaubt hatte.
    »Ich weiß es nicht«, stammelte er. »Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Es ist...«
    Marianne bewegte stöhnend die Hände und versuchte den Kopf zu heben. Ihre Bewegungen waren unsicher und nicht richtig koordiniert, so daß Mark rasch ihre Hand ergriff und festhielt, damit sie

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