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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weg.
    »Mark?«
    Diesmal war es wirklich Marianne. Mark sah auf und blickte in ihr schmales Gesicht, auf dem sich ein Ausdruck erschrockener Überraschung breitmachte. Er hatte nicht gehört, daß sie die Küche verlassen hatte und hergekommen war. »Was ist los mit Ihnen?«
    »Nichts«, sagte Mark. »Was soll denn sein?« Er versuchte zu lächeln, konnte es aber nicht. Seine eigene Stimme klang wie die eines Fremden in seinen Ohren.
    »Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört.« Marianne kam näher, und die Überraschung in ihren Augen wurde nun eindeutig zu Sorge. »Ist auch wirklich alles in Ordnung? Sie sind kreidebleich.«
    »Ich fühle mich nicht gut«, antwortete Mark. »Aber es ist nichts. Ich bin nur müde, das ist alles.«
    Marianne sah ihn auf eine Art an, die jede Erklärung dazu, was sie von seiner Antwort hielt, überflüssig machte, und wäre die Situation auch nur ein wenig anders gewesen, hätte Mark sicher gelächelt - er war noch nie ein guter Lügner gewesen, und Marianne etwas vorzumachen war schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit. Aber die Situation war nicht anders, und so nickte er nur noch einmal schwach und sagte erneut und sehr leise: »Nur müde.«

    11. Kapitel
    Irgend etwas stimmt nicht«, sagte Sendig, während seine Finger nervös auf das Lenkrad trommelten. Er sah Bremer nicht an, und er hatte auch ziemlich leise und wohl gar nicht direkt zu ihm gesprochen, sondern mehr zu sich selbst; und wahrscheinlich hatte er auch nicht damit gerechnet, eine Antwort zu bekommen. Sie saßen seit gut fünf Minuten im Wagen vor der Sillmann-Villa, und Bremer hatte die gleiche Zeit vergeblich darauf gewartet, daß Sendig losfuhr oder irgend etwas sagte. Aber sein neuer Vorgesetzter und Kollege hatte weder das eine noch das andere getan, sondern nur wortlos vor sich hin gestarrt, während seine Finger den Takt zu einer Melodie auf dem Lenkrad trommelten, die Bremer erkennen zu wollen aufgegeben hatte. Er sah sehr besorgt aus, und aus einem Grund, den Bremer sich nicht richtig erklären konnte, auch sehr zornig.
    »Etwas stimmt ganz und gar nicht.«
    »Mit wem?« fragte Bremer. »Sillmann?«
    »Nein«, antwortete Sendig, schüttelte den Kopf und verbesserte sich selbst: »Oder doch. Aber ich meine nicht den Alten. Der Junge, Mark.«
    Der unwillige Ton in seiner Stimme korrespondierte mit seinem Gesichtsausdruck, aber Bremer hatte das sichere Gefühl, daß beide nichts miteinander gemein hatten. Vielmehr hatte Sendig in einem Ton gesprochen, der ihm klarmachte, daß er seine Frage für überflüssig hielt, es vielleicht auch nicht gewohnt war, von einer Kreatur so niedrigen Standes, wie sie ein gemeiner Streifenpolizist darstellte, angesprochen zu werden. Trotzdem fuhr Bremer fort: »Was soll mit ihm sein?«
    Sendig warf ihm einen durchdringenden Blick zu und zog die Augenbrauen zusammen, aber es verging noch einmal annähernd eine halbe Minute, ehe er antwortete: »Er sollte nicht hier sein. Die Geschichte mit der Krankheit war eine Lüge.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Sendig hob die Schultern, streckte die Hand nach dem Zündschlüssel aus und zog den Arm wieder zurück, ohne ihn berührt zu haben. »Gespür. Ich weiß, wenn mich jemand belügt. Sie nicht?« Er wartete Bremers Antwort gar nicht ab, sondern fuhr fast unmittelbar fort: »Allerdings scheint der Alte die Story geglaubt zu haben.«
    »Und warum nicht?« fragte Bremer.
    Sendig grunzte. »Ja, und wo wir schon einmal dabei sind — warum glauben wir nicht gleich wieder an den Weihnachtsmann? Der Junge sollte in einem Internat sein, stimmt's? Und er kommt ausgerechnet heute zurück? Wissen Sie was? Ich halte jede Wette, daß ich weiß, wo er gewesen ist, ehe er nach Hause kam. In der Klinik.«
    »Und was ist daran so erstaunlich? Immerhin ist seine Mutter in diesem Krankenhaus - er wird sie besucht haben.«
    »Ausgerechnet heute?!«
    »Vielleicht nicht ausgerechnet heute«, antwortete Bremer betont. »Es kann ein Zufall sein. Vielleicht besucht er sie auch regelmäßig einmal die Woche, immer am gleichen Tag. Was weiß ich.«
    Sendig bedachte ihn erneut mit einem langen Stirnrunzeln, und sein Blick fügte so deutlich hinzu, daß Bremer es beinahe zu hören glaubte: Stimmt. Was weißt du schon? Laut sagte er: »Und immer zwei Stunden bevor die offizielle Besuchszeit beginnt?« Er wies mit einer unwilligen Geste auf die Uhr im Armaturenbrett, und Bremer gestand sich im stillen ein, daß er darauf auch von selbst hätte kommen können. Es

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