Azraels Auftrag (German Edition)
langsam, was geschehen ist. Wir haben unter Einbindung der neuen Erkenntnisse nochmals eine Art gedankliches Planspiel durchgeführt. Doch die gesamte Situation scheint noch komplexer zu sein. In unserem Planspiel haben sich zwei Schlussfolgerungen gebildet.
Die Erste, und gleichzeitig die Einfachste ist: Azrael hat euch nicht angelogen. Alles, was er gesagt hat, entspricht der Wahrheit.
Carlos spürte eine Benommenheit in seinen Gedanken, als er dies vernahm.
Wir haben für diese Phänomene zwar andere Namen, aber benutzen wir ruhig die deinen: YIN und YANG. Das Gute und das Böse! Hitze und Kälte! Ordnung und Chaos. Das gesamte Universum befindet sich in der Tat immer im Wandel, das Eine hebt das Andere auf, die Kräfte spielen miteinander, um einen ausgewogenen Zustand zu erreichen. Wenn alles im Gleichgewicht ist, herrscht perfekte Harmonie.
YAA erkannte, das Carlos immer noch nicht verstand.
Carlos, wir, die Yaa-Chra stehen für die Erneuerung, für die Erschaffung, für die uneingeschränkte Weitergabe positiver, kreativer Energie. Wir helfen, wir heilen, wir unterstützen. Das ist unser Ziel. Wir finden unsere Erfüllung, wenn wir Gutes weitergeben können.
Wir sind in deiner Beschreibung ganz YIN!
Und wir werden stärker. Das YIN wächst. Seit Jahrtausenden haben wir jeden Konflikt lösen können, indem wir lernten, denen zu helfen, denen es an irgendetwas mangelt. Durch unsere Tätigkeiten gibt es nichts, was zum Ausgleich das YANG füttert. Es gibt keinen Krieg, keine Gewalt!
Und genau das führt zu einem Ungleichgewicht. Zu einem kosmisch instabilen Zustand, der das Erreichen der wahren Harmonie stört!
Obwohl bei Carlos ein Verstehen einsetzte, konnte er diesen Gedankengängen nur langsam den tieferen Sinn erkennen.
„Das bedeutet also...“, fing er an und schüttelte imaginär den Kopf, „also, ihr sollt vernichtet werden, weil es durch euch zu viel Gutes gibt? Das ist doch Irrsinn. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.“
Oh doch, unser Freund, es macht Sinn. Auch wir haben viele Theorien über den Bestand des Universums erstellt. Eine davon besagt, dass es eine fest vorgegebene Entwicklung gibt. Aber nur so lange, wie bestimmte Bedingungen immer wieder erfüllt werden. Je mehr sich diese Bedingungen von ihrem Ursprung entfernen, desto mehr Alternativentwicklungen entstehen.
Eine andere Theorie besagt folgendes: Alles, was jemals erschaffen wird, fällt irgendwann wieder in seinen Ursprung zurück. Stell dir ein Feuer vor, das ganz langsam brennt. Und stell dir vor, dass es jemanden gibt, der über das Feuer wacht. Er legt ganz behutsam Holz nach, damit es weiter brennt, und er nimmt größere, trockene Teile aus der Mitte heraus, damit das Feuer sich nicht in großer Hitze zu schnell verzehrt. Es gibt nur eine begrenzte Menge an Holz. Und irgendwann ist das Feuer erloschen.
Nun, Carlos, ich denke, wir sind die Glut. Wir sind die Hitze im Universum. Und wir sollen gelöscht werden, damit das Feuer möglichst lange brennt!
„Aber“, begann Carlos erneut, „das ist doch krank! Wie kann man so überhaupt denken? Alleine der Gedanke daran, so zu handeln, ist pervers! Das hat doch nichts Menschliches an sich!“
Nein, Carlos, so darfst du nicht denken. Es kommt nur auf den Standpunkt an.
„Und ihr teilt also diesen Standpunkt?“ fragte Carlos ungläubig.
Nein, das tun wir nicht. Wenn wir bei dem Vergleich mit dem Feuer bleiben, möchte ich es so erklären.
Wir brennen, solange es uns möglich ist. Wir spenden denjenigen Wärme, die frieren. Und wir möchten das Licht für diejenigen sein, denen der Weg im Dunklen liegt.
Ja, es mag sein, dass das Universum ohne uns länger brennt. Doch wir sind der Ansicht, dass es für jedes Leben besser ist, jeden Augenblick so intensiv wie möglich zu leben, auch wenn es nur für kurze Zeit ist, anstelle in einer kalten und dunklen Höhle dahin zu dämmern.
Es entstand eine kurze Pause, dann fuhr YAA fort:
Unser Planspiel hat noch etwas anderes ergeben, Carlos. Ein Teil der Wächter, wie du sie genannt hast, scheinen auch vor dieser Frage zu stehen!
„Wie denn das? Wir hatten einen ganz eindeutigen Auftrag, und zwar den, euch zu vernichten. Zum Glück ist unser Auftrag gescheitert.“
Carlos, wir haben ein paar Erinnerungen noch für dich zurückgehalten, um dich zu schützen. Wir denken aber, dass es an der Zeit ist, sie dir komplett zurückzugeben.
Und mit diesen Worten fegte ein Sturm über Carlos hinweg. Obwohl die Erinnerungen als
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