Azraels Auftrag (German Edition)
Dabei fiel ihr Blick auf die weißen Unterarmschoner, und auf die darin eingelassenen Zeremoniendolche.
Mit einem Druck auf den eingelassenen Auslöser des rechten Unterarmschoners ließ sie die zehn Zentimeter lange Klinge rausschnellen. Mit beiden Händen griff sie hinter ihren Kopf und umfasste im Bereich des Nackens ihre Haare. Mit der linken Hand hielt sie das Bündel fest, während sie mit der Rechten die Klinge führte. Als sie spürte, dass die Klinge im richtigen Winkel stand, zog sie den rechten Arm in einer einzigen Bewegung durch und presste den Atem durch zusammengebissene Zähne.
Eleeya atmete tief durch, als sie das abgeschnittene Haar in ihrer linken Hand betrachtete.
„ Carlos“, dachte sie, „ich hätte so viel tun können...“
Eleeyas merkte, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Doch dann schob sie ihren Unterkiefer nach vorne und lies das Haarbündel, dass sie mit der linken Hand hielt, in den Abgrund fallen.
Es dauerte nicht lange, bis der Wind die Strähnen in sämtliche Richtungen wirbelte.
Vor ihrem inneren Auge formte sich erneut das Bild tiefer, dunkelbrauner Augen, die sie ansahen.
Eleeya, mein Mädchen, hörte sie eine sanfte Stimme in ihren Gedanken.
Ein Lächeln huschte über Eleeyas Gesicht, als sie sich an die ersten Wochen auf Zwischenwelt erinnerte, nachdem sie das letzte Mal mit Vater geredet hatte.
Sie musste oft an Carlos denken. Es war, als ob sie mit ihm alte Dialoge wiederholen würde. Immer öfters bildeten sich in ihrem Kopf scheinbar zusammenhanglose Ausschnitte aus vergangenen Gesprächen. Für Eleeya stand fest, dass es sich um die Auswirkungen ihrer gequälten Gefühle handelte. Aus reiner Verzweifelung gab sie zu jener Zeit der Versuchung nach und tat so, als ob sie auf die einzelnen Dialoge eingehen würde und gab scheinbar entsprechende Antworten.
Das genau das war damals der Moment, als sie glaubte, den Verstand zu verlieren.
Sie erhielt nämlich scheinbar passende Beantwortungen auf ihre Äußerungen. In gewisser Weise führte sie mit Carlos ein Gespräch. Es dauerte oft mehrere Minuten an.
Seit diesem Moment sind inzwischen sechs Jahre vergangen.
Eleeya, wo bist du?
Eleeya zuckte zusammen, so intensiv war diesmal Carlos’ Stimme zu vernehmen. Unwillkürlich blickte sie sich um, weil sie erwartete, dass er neben ihr stehen würde. Doch da war niemand. Sie war allein.
Eleeya, du fehlst mir. Wann kannst du bei mir sein?
Ein eisiger Wind blies vom offenen Meer heran und zerrte an Eleeyas schwarzem Mantel.
Eleeya, mein Mädchen, ich möchte so gerne bei dir sein. Ich bin hier, ich warte auf dich, bitte komm zu mir!
„Es geht wieder los“, dachte Eleeya. Doch diesmal war es anders.
Eleeya...
Es war intensiver...
Hörst du mich?
Es war stärker als jemals zuvor!
ELEEYA..., ICH LIEBE DICH! Wo bist du?
Erneut ging Eleeya auf das vermeintliche Spiel ein.
„Ich bin hier, Carlos,... ich bin hier!“
Im Schwarm
YAA hatte Carlos erklärt, wie er mit seinen Gefährten Kontakt aufnehmen konnte. Es war weniger eine Art des Redens als einfach nur der intensive Wunsch, in Verbindung zu treten. Als YAA mit den Erläuterungen begonnen hatte, dachte Carlos im ersten Moment an so etwas wie eine telepathische Verbindung. Er stellte sich vor, er könnte in der Tat Gedanken austauschen, doch das war es nicht.
Alle Worte, die du mit Mika oder Eleeya wechseln kannst, sind bereits Vergangenheit. Alles ist bereits vor langer Zeit geschehen.
„Wie soll ich das Verstehen?“ fragte Carlos. „Ich muss sie doch irgendwie dazu kriegen, dass sie weitermachen.“
Nun, wie wir bereits sagten, sind alle Worte längst Vergangenheit. Du kannst dich der Worte und Gespräche bedienen, die du irgendwann einmal in der Vergangenheit mit den beiden gewechselt hast. Du musst einfach die Situationen in dir wiederholen. Achte auf die Worte, die du damals an sie gerichtet hast. Dann fokussierst du deine ganzen Empfindungen darauf. Und bei dem Rest werden wir dir helfen.
„Aber“, begann Carlos, „... aber ich weiß doch heute kaum noch, was ich gestern geredet habe! Das bekomme ich doch nie mehr zusammen! Habt ihr eine Ahnung, wie lange ich alleine brauche, um auch nur einigermaßen rauszukriegen, was ich vor einer Stunde mit euch geredet habe?“
Oh, du glaubst also, es sind Stunden vergangen?
Carlos wurde skeptisch. „Ja, was denn sonst? Etwa nur Sekunden?“
Eine Antwort blieb aus, und Carlos spürte zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt in der fremden
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