Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
wahrscheinlich war das der Fluch, der an mir haftete, seitdem ich den silbernen Volvo fuhr und meine Mutter erneut einem Mann die Hand fürs Leben gereicht hatte.
Ich wollte den Direktor jedoch meine Abneigung gegen diese übermäßige Aufmerksamkeit für mich und meine Familie nicht spüren lassen, deswegen lächelte ich einfach weiter. Zumal er sich sowieso umgedreht hatte, meine Schulakte von seinem Schreibtisch nahm und darin blätterte.
»Deine Noten sind übrigens überaus beeindruckend, Ashlynia«, teilte er mir mit unübersehbarem Stolz mit. »Die Melbour High ist sehr erfreut, ein Schülerin mit einem derartigen Notendurchschnitt begrüßen zu dürfen.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich knapp – nicht wissend, was ich darauf noch erwidern sollte. Tatsächlich hatte ich in den meisten Fächern ziemlich gute Noten, besonders in den Sprachen, auf die ich meinen fachlichen Schwerpunkt gelegt hatte. Während ich jahrelang Literaturkurse besucht hatte, um meine englischen Sprachfähigkeiten zu maximieren, hatte ich nebenbei auch Deutsch, Spanisch und Italienisch erlernt, was meine große Leidenschaft darstellte. Einen Kontrast dazu bildeten die naturwissenschaftlichen Fächer, in denen ich zwar nicht schlecht war, aber die mir einfach nichts gaben. Ich sah keinen Sinn in Zahlen und besaß ein genauso schlechtes räumliches Vorstellungsvermögen wie auch mein Orientierungssinn. Durch eine gute Nachhilfelehrerin hatte ich aber doch immer noch akzeptable Leistungen in Mathematik und Physik erzielt.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
»Herein?«, rief der Direktor und legte meine Schulakte wieder ab.
Herein trat ein großer junger Mann mit verwuscheltem, beinahe schwarzem Haar, das im Nacken kürzer geschnitten war als vorne. Er trug ein hellblaues Flanellhemd, dunkle Jeans und ich erkannte eine kleine Goldkette mit einem winzigen Kreuz, die er um den Hals trug. Über seiner Schulter hing der Riemen eines ausgebeulten, dunkelgrünen Rucksacks.
»Sie haben mich gebeten, vor Unterrichtsbeginn vorbeizukommen, Sir?«, fragte er, die Tür hinter sich schließend.
»Ja, das habe ich in der Tat!«, antwortete ihm Mr. Wood und winkte den jungen Mann näher heran. »Ashlynia, das ist Tyler Collins, der Schulsprecher – und gleichzeitig auch in deiner Klasse. Er wird dir alles genauer erklären und dir auch deinen Spind zeigen.«
»Hey, Ashlynia«, sagte er.
»Ashlyn«, korrigierte ich ihn spontan, schüttelte Tylers ausgestreckte Hand und lächelte knapp.
»Willkommen auf der Melbour High, Ashlyn«, antwortete er – lernfähig, wie er anscheinend war, nannte er nun den von mir gewünschten Namen und fuhr dann freundlich fort: »Wir haben als erste Stunde heute Englisch bei Mrs. Fitzgerald. Sie ist auch unsere Klassenleiterin.«
Er öffnete seinen Rucksack, zog eine Mappe heraus und hielt mir dann einen Zettel hin. »Das ist unser Stundenplan. Du kannst ihn behalten, ich habe ihn dir kopiert«, fügte er erklärend hinzu.
»Na wunderbar! Dann ist ja alles geregelt!« Der Direktor schien sich darüber zu freuen und klopfte mir herzlich auf die Schulter.
»Viel Glück!«, wünschte er mir noch, dann verließen Tyler und ich den Raum.
»Da geht’s lang.« Tyler wies nach rechts, und so machten wir uns auf den Weg zum Klassenzimmer.
Bevor ich mir überlegen musste, wie ich nun am besten einen guten Smalltalk begann, fragte er mich: »Sag mal, bist du nicht die Stieftochter von Mr. Aames?«
Innerlich verdrehte ich die Augen. Irgendwie schien mir dieser Name auf die Stirn tätowiert zu sein.
»Stimmt«, erwiderte ich, »meine Mom hat ihn dieses Frühjahr geheiratet.«
»Und dein richtiger Dad?«
»Tom Gibbs. Er hat hier früher auch in der Gegend gewohnt und gearbeitet. Meine Eltern sind geschieden«, klärte ich ihn auf.
»Oh, tut mir leid.« Er klang, als würde er diese Worte ernst meinen – so ernst, als wäre mein Vater gestorben.
»Nein, nein, das ist schon okay. Ich mache keinem von beiden einen Vorwurf. Und ich sehe meinen Vater auch relativ häufig. Mittlerweile kann ich ihn ja selbst besuchen – seit meinem Geburtstag im Juli habe ich ein eigenes Auto.« Ein gewisser Stolz schlich sich bei diesen Worten in meine Stimme.
Tyler stieß einen leisen Pfiff durch seine Zähne aus – und erst jetzt bemerkte ich, dass seine Vorderzähne leicht auseinanderstanden.
»Ein eigenes Auto? Das ist cool. Mein Vater hat gesagt, ich müsste bei ihm im Geschäft erst arbeiten, wenn ich vor meinem zwanzigsten
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