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ausgezeichneter Zeitvertreib ist. Befreite Kraft kommt Tony zufolge von hoher Energie, und ich kann dieser Argumentation folgen. Kein Wunder, dass die Leute von weither anreisen, um ihn persönlich zu erleben (neben mir sitzt – nein, hüpft – eine hübsche junge Frau aus der Ukraine mit einem verzückten Lächeln). Ich muss wirklich anfangen, wieder Aerobic zu machen, wenn ich zurück in New York bin, beschließe ich.
Als die Musik schließlich aufhört, beginnt Tony mit einer Reibeisenstimme – halb Muppet-Show, halb Schlafzimmer-Tonfall – seine Theorie der »praktischen Psychologie« vorzustellen. Der Kern lautet, dass Wissen nutzlos ist, wenn daraus keine Taten folgen. Er hat eine verführerische, schnelle Art des Redens, um die ihn Willy Loman, der Protagonist in Arthur Millers Drama Tod eines Handlungsreisenden , beneidet hätte. Um die praktische Psychologie gleich an Ort und Stelle zu demonstrieren, fordert uns Tony auf, uns einen Partner zu suchen und ihn so zu begrüßen, als fühlten wir uns minderwertig und fürchteten eine Abfuhr. Ich tue mich mit einem Bauarbeiter aus Atlanta zusammen, und wir geben uns zögerlich die Hand und blicken verschämt zu Boden, während als Hintergrundmusik »I want you to want me« läuft.
Dann stellt Tony eine Reihe von geschickt formulierten Fragen:
»Habt ihr tief oder flach geatmet?«
»Flach«, rufen die Teilnehmer einstimmig.
»Habt ihr gezögert, oder seid ihr direkt auf euren Partner zugegangen?«
»Gezögert!«
»War euer Körper angespannt oder entspannt?«
»Angespannt!«
Tony bittet uns, die Übung zu wiederholen, diesmal aber unseren Partner so zu begrüßen, als wenn der Eindruck, den wir in den ersten drei bis fünf Sekunden machen, darüber entscheidet, ob er mit uns zukünftig Geschäfte macht. Wenn wir das nicht schaffen, »werden alle, die euch lieb sind, wie Schweine in der Hölle schmoren«.
Ich bin verwundert, dass Tony den geschäftlichen Erfolg betont – das ist ein Persönlichkeitsseminar, kein Verkaufstraining. Doch dann fällt mir ein, dass Tony nicht nur Persönlichkeitscoach, sondern auch ein Geschäftsmann ersten Ranges ist – er hat seine Karriere im Vertrieb begonnen und ist heute Vorstandsvorsitzender von sieben großen Firmen. Business Week hat sein Einkommen einmal auf achtzig Millionen Dollar im Jahr geschätzt. Jetzt versucht er offenbar mit der ganzen Kraft seiner starken Persönlichkeit, seine Verkaufsmethode an uns weiterzugeben. Er will, dass wir uns nicht nur gut fühlen, sondern Energiewellen ausstrahlen, dass Menschen uns nicht nur mögen, sondern sehr mögen. Wir sollen lernen, uns gut zu verkaufen.
In einem 45-seitigen persönlichen Gutachten nach einem Online-Persönlichkeitstest, an dem ich als Vorbereitung auf das Wochenende teilgenommen habe, wurde mir von den »Anthony Robbins Companies« bereits geraten, »Susan« solle an ihrer Neigung arbeiten, ihre Ideen nur vorzubringen, statt sie zu verkaufen. (Das Gutachten war in der dritten Person abgefasst, als wäre es an einen imaginären Vorgesetzten gerichtet, der meine soziale Kompetenz einschätzen will.)
Die Teilnehmer bilden wieder Paare, die sich diesmal begeistert miteinander bekannt machen und herzlich die Hand ihres Gegenübers schütteln. Nachdem wir einander genügend begrüßt haben, kommt wieder ein Fragenkatalog:
»Habt ihr euch besser gefühlt, ja oder nein?«
»Ja!«
»Habt ihr euren Körper anders bewegt, ja oder nein?«
»Ja!«
»Habt ihr mehr Gesichtsmuskeln bewegt, ja oder nein?«
»Ja!«
»Seid ihr direkt auf euren Partner zugegangen, ja oder nein?«
»Ja!«
Die Übung soll uns offenbar zeigen, dass unser physiologischer Zustand unser Verhalten beeinflusst, aber sie will uns auch einreden, dass selbst die neutralste Interaktion eine Verkaufsstrategie beinhaltet. Wir sollen merken, dass jede Begegnung ein Spiel mit hohem Einsatz ist, bei dem wir die Sympathie eines anderen gewinnen oder verlieren. Sie legt uns eindringlich nahe, sozialen Ängsten so extravertiert wie möglich zu begegnen. Wir müssen dynamisch und voller Selbstvertrauen sein, statt zögerlich zu erscheinen, wir müssen lächeln, damit unsere Gesprächspartner zurücklächeln. Wenn wir so vorgehen, werden wir uns gut fühlen, und je besser wir uns fühlen, desto besser können wir uns verkaufen.
Tony ist allem Anschein nach die perfekte Person, um solche Fähigkeiten zu demonstrieren. Er wirkt auf mich wie jemand mit einem sogenannten »hyperthymen«
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