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still. »Intelligenz wird bewundert, selbst wenn jemand ein Sonderling ist«, meint Chris, der im zweiten Jahr auf die Highschool geht und koreanischer Herkunft ist. Einer seiner Freunde, so erzählt Chris, hat mit seiner Familie zwei Jahre lang vorübergehend in einer Stadt in Tennessee gewohnt, wo es wenige Asiaten gibt. Der Freund genoss die Zeit, aber erlebte doch eine Art Kulturschock. In Tennessee »gab es wahnsinnig intelligente Jugendliche, aber sie blieben immer für sich. Hier haben die wirklich intelligenten Typen viele Freunde, denn sie können den anderen beim Lernen unter die Arme greifen.«
Für Cupertino ist die Bibliothek das, was für andere Städte das Einkaufszentrum oder Fußballstadion ist: ein inoffizielles Zentrum des Stadtlebens. Wer in der Schule gut ist, wird anerkennend als »Nerd« (hier: Schlaukopf ) bezeichnet. Football und Cheerleader-Aktivitäten genießen kein besonders hohes Ansehen. »Unser Football-Team ist die volle Katastrophe«, sagt Chris gutmütig. Auch wenn die Erfolge des Teams Chris’ Einschätzung widerlegen, scheint ein schlechtes Football-Team für ihn positiven Symbolcharakter zu haben. »Man sieht ihnen nicht mal an, dass sie Football-Spieler sind«, sagt er. »Sie tragen ihre Jacken nicht und sind auch nicht in Horden unterwegs. Als einer meiner Freunde seinen Abschluss machte, wurde ein Video gezeigt, auf das mein Freund entgeistert reagierte: ›Ich fasse es nicht, dass in diesem Video Football-Spieler und ihre Fans zu sehen sind.‹ Das ist doch überhaupt nicht typisch für diese Stadt.«
Ted Shinta, Lehrer und Berater des Robotics Teams an der Monta Vista Highschool stimmt Chris’ Einschätzung zu. »Zu meiner Zeit wurde einem abgeraten, bei Schülerwahlen mitzumachen, wenn man nicht zum Sportteam der Schule gehörte«, sagte er mir. »Auf den meisten Highschools gibt es eine populäre Gruppe, die die anderen tyrannisiert. Aber hier haben diese Jugendlichen gar keine Macht über die anderen. Die Schülerschaft ist dafür zu leistungsorientiert.«
Purvi Modi, eine ortsansässige Collegeberaterin, bestätigt das. »Introversion gilt hier nicht als Makel«, sagt sie mir. »Sie wird akzeptiert. Manchmal wird sie sogar hoch geachtet und bewundert. Es gilt als cool, Schachmeister zu sein und im Schulorchester zu spielen.« Es gibt hier ein Introvertierten-Extravertierten-Spektrum wie überall, aber es scheint, als würde die Bevölkerung ein paar Punkte mehr hin zum introvertierten Ende der Skala tendieren. Auch einer jungen Frau chinesischer Herkunft, die gerade einen Studienplatz an einem East Coast College bekommen hat, ist dies aufgefallen, nachdem sie einige ihrer zukünftigen Kommilitonen online kennengelernt hat. Sie hat Sorge, was ihr die Zukunft nach Cupertino bringen könnte. »Ich habe zu einigen meiner neuen Kommilitonen auf Facebook Kontakt aufgenommen«, sagt sie, »und sie sind einfach sooo anders. Ich bin ein stilles Wasser. Ich bin keine große Partygängerin und gehe nicht wer weiß wie aus mir heraus. Bei denen scheint jeder kontaktfreudig zu sein. Mit meinen Freunden ist es völlig anders. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich dort überhaupt Freunde finden werde.«
Einer ihrer Facebook-Kontakte wohnt im nahegelegenen Palo Alto, und ich frage sie, wie sie auf eine Einladung während des Sommers reagieren würde.
»Ich würde sie vermutlich nicht annehmen«, antwortet sie. »Es wäre interessant, die anderen kennenzulernen, aber meine Mutter will nicht, dass ich so viel ausgehe, weil ich lernen muss.«
Es erstaunt mich, wie stark sich diese junge Frau ihren Eltern verpflichtet fühlt und wie sehr das im Zusammenhang damit steht, dass sie das Lernen den Kontakten mit anderen vorzieht. Aber das ist in Cupertino nicht ungewöhnlich. Viele Schüler mit asiatischen Wurzeln erzählen mir hier, dass sie auf Wunsch ihrer Eltern den ganzen Sommer über lernen und sogar Einladungen zu Geburtstagspartys im Juli ausschlagen würden, damit sie die Differenzial- und Integralrechnung, die ab Oktober auf dem Lehrplan steht, schon beherrschen. »Ich denke, es ist unsere Kultur«, erklärt Tiffany Liao, eine selbstsichere Schülerin im letzten Schuljahr, die am angesehenen Swarthmore College studieren wird und deren Eltern aus Taiwan stammen. »Lernen, Leistungen bringen, kein Aufhebens machen. Es steckt tief in uns drin, stiller zu sein. Wenn ich als Kind mit meinen Eltern bei deren Freunden zu Besuch war und nichts sagen wollte, nahm ich mir einfach ein
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