Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
B00B5B7E02 EBOK

B00B5B7E02 EBOK

Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
Vom Netzwerk:
Buch mit. Es war wie ein Schutzschild, und es hieß dann: Sie ist so fleißig! Das war ein großes Lob.«
    Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass durchschnittliche amerikanische Mütter und Väter ihr Kind anlächeln würden, wenn es bei einer Party liest, während sich alle anderen um den Grill versammeln. Aber vielen Eltern, die in asiatischen Ländern zur Schule gegangen sind, wurde dieses stillere Verhalten in der Kindheit beigebracht. In vielen ostasiatischen Klassenzimmern stehen nach dem traditionellen Lehrplan Zuhören, Schreiben, Lesen und Auswendiglernen im Vordergrund. Reden gehört nicht zu den Schwerpunkten und ist sogar verpönt.
    »Der Unterricht bei uns zu Hause läuft ganz anders ab als hier«, sagt Hung Wei Chien, eine in Cupertino lebende Mutter, die 1979 aus Taiwan nach Amerika gekommen ist, um an der Universität von Kalifornien ihren Master zu machen. »Bei uns lernt man den Stoff, und dann wird man geprüft. Wenigstens war es in meiner Jugend so. Es wurde nicht groß vom Thema abgewichen, und die Schüler hatten nicht die Möglichkeit zu schwafeln. Wenn man aufstand und dummes Zeug redete, bekam man eine Rüge.«
    Hung ist einer der ausgelassensten und extravertiertesten Menschen, die ich je getroffen habe, eine Frau mit großen, weit ausholenden Gesten, die gerne laut lacht. In Laufshorts, Turnschuhen und mit bernsteinfarbenem Schmuck behängt, begrüßt sie mich mit einer ungestümen Umarmung und fährt mich zu einer Bäckerei, wo wir frühstücken. Wir mampfen unser Gebäck und schwatzen fröhlich.
    Es spricht Bände, wenn selbst Hung sich an den Kulturschock erinnert, den sie erlebte, als sie ihr erstes Seminar nach amerikanischem Stil besuchte. Sie hielt es für einen Ausdruck schlechter Manieren, sich im Seminar zu beteiligen, weil sie ihren Kommilitonen nicht die Zeit stehlen wollte. Und natürlich sagt sie lachend: »Ich war dort die stille Studentin. An der Uni eröffnete der Professor das Seminar mit den Worten: Lassen Sie uns diskutieren! Ich schaute mir meine Kommilitonen an, die Unsinn schwafelten, und die Professoren waren so geduldig und hörten einfach allen zu.« Neckisch ahmt sie das Nicken der übermäßig respektvollen Professoren nach.
    »Ich war erstaunt. Ich saß in einem Linguistikseminar, und die Studenten redeten nicht einmal über Linguistik! Ich dachte: ›Aha, sobald du in Amerika den Mund aufmachst, ist alles gut.‹«
    Während Hung vom amerikanischen Stil der Seminarbeteiligung verwirrt war, waren ihre Lehrer vermutlich ebenso verwirrt, dass sie sich nicht äußern wollte. Volle zwanzig Jahre, nachdem Hung in die USA gezogen war, veröffentlichten die San Jose Mercury News einen Artikel mit dem Titel »East West Teaching Traditions Collide« (Die östlichen und westlichen Lehrtraditionen kollidieren). 2 Darin ging es um das Erstaunen der Professoren über die Abneigung der in Asien geborenen Studenten wie Hung, sich in kalifornischen Universitätsseminaren zu Wort zu melden. Ein Professor sprach von einer »Barriere der Achtung«, die durch die Verehrung asiatischer Studenten für ihre Lehrer geschaffen werde. Ein anderer schwor, die mündliche Beteiligung in die Note einfließen zu lassen, um asiatische Studenten dazu zu bringen, das Wort zu ergreifen. »Im chinesischen Schulsystem verlangt man von Schülern, sich selbst klein zu machen, weil andere Denker so viel größer sind als man selbst«, sagte ein Dritter. »Das ist ein Dauerproblem in Seminaren mit vorwiegend asiatisch-amerikanischen Studenten.«
    Der Artikel sorgte für leidenschaftliche Reaktionen in der asiatisch-amerikanischen Gemeinde. Einige sagten, die Universitäten forderten von asiatischen Studenten zu Recht, sich an die Bildungsnormen des Westens anzupassen. »Amerikaner mit asiatischer Herkunft lassen durch ihr Schweigen zu, dass andere ihnen auf der Nase herumtanzen«, schrieb ein Leser auf der Internetseite ModelMinority.com . Andere fanden, dass man asiatische Studenten nicht drängen sollte, sich zu Wort zu melden und sich der westlichen Art anzupassen. »Statt zu versuchen, sie zu ändern, können Colleges lernen, auf ihr Schweigen zu hören«, schrieb der interkulturelle Psychologe Heejung Kim von der Stanford University in einem Aufsatz, in dem er argumentierte, dass Reden nicht immer etwas Positives sei. 3
     
    Aber wie kann es sein, dass asiatische und westliche Studenten dieselben Vorgänge in einem Seminar erleben und die einen sie für »Unterrichtsbeteiligung« halten,

Weitere Kostenlose Bücher