B00BOAFYL0 EBOK
eher Opfer von Wahnvorstellungen als das Gegenteil (was sie zu übermäßigem Optimismus und übersteigertem Selbstvertrauen bei gleichzeitiger Unterschätzung möglicher negativer Resultate verleitet). Ihre »Risikofreudigkeit« macht sie häufig zu Narren des Zufalls.
Sehen Sie sich die linke und die rechte Spalte in Tabelle 1 an. Die zentrale These dieses Buches lässt sich wohl am besten so zusammenfassen: Es beschäftigt sich mit (oft tragikomischen) Situationen, in denen die linke Spalte fälschlicherweise für die rechte gehalten wurde. Die Untergruppierungen zeigen auch die wichtigsten Themenbereiche, die in diesem Buch erörtert werden.
Der Leser mag sich nun fragen, ob der umgekehrte Fall nicht auch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit verdient, nämlich Situationen, in denen Nichtzufälliges irrtümlichweise für einen Zufall gehalten wird. Sollten wir uns nicht Gedanken über Fälle machen, in denen Muster und Botschaften übersehen wurden? Darauf habe ich zwei Antworten. Erstens bereitet mir die Existenz unentdeckter Muster kein großes Kopfzerbrechen. Wir neigen dazu, lange und komplexe Botschaften in fast alle unregelmäßigen Ausprägungen der Natur hineinzulesen (etwa in Handflächen oder in den Bodensatz türkischer Kaffeetassen). Bewaffnet mit leistungsstarken Heimcomputern und verketteten Prozessoren und unterstützt von Komplexitäts- und »Chaos«-Theorien können Wissenschaftler, Halbgelehrte und Pseudowissenschaftler alle möglichen Omen finden. Zweitens müssen wir die Fehlerkosten in Betracht ziehen: Meiner Ansicht nach ist eine Verwechslung der rechten mit der linken Spalte nicht so teuer wie ein Irrtum in umgekehrter Richtung. Selbst der Volksmund warnt, dass schlechte Informationen schlimmer sind als gar keine.
So interessant diese Themen sein könnten, ihre Erörterung wäre eine schwer lösbare Aufgabe. Es gibt einen Bereich, in dem die gewohnheitsmäßige Verwechslung von Glück und Geschick meiner Meinung nach besonders oft vorkommt und auch besonders auffällig ist: die Börse. Es mag Glück oder Pech sein, aber das ist nun einmal die Welt, in der ich einen Großteil meines Erwachsenenlebens hindurch gearbeitet habe. Diese Welt kenne ich am besten. Darüber hinaus ist das Wirtschaftsleben das beste (und unterhaltsamste) Labor zur Analyse der Unterschiede zwischen diesen Kategorien. Schließlich ist die Wirtschaft die menschliche Unternehmung, bei der die Verwirrungsgefahr am größten ist und ihre Folgen am heimtückischsten sind. Zum Beispiel nehmen wir oft irrtümlicherweise an, eine Strategie sei brillant, ein Unternehmer ein »Visionär« oder ein Börsenhändler begnadet, nur um hinterher erkennen zu müssen, dass 99,9 Prozent der bisherigen Leistung die Folge puren Zufalls waren. Bittet man erfolgreiche Investoren, die Gründe für ihren Erfolg zu schildern, werden sie tiefsinnige und überzeugende Interpretationen ihrer Anlageergebnisse anbieten. Oft ist die Augenwischerei sogar beabsichtigt und verdient die Bezeichung »Scharlatanerie«.
Wenn es einen einzelnen Grund für die Verwechslung der linken mit der rechten Seite unserer Tabelle gibt, so ist dies unsere Unfähigkeit, kritisch zu denken – es macht uns richtiggehend Spaß, Mutmaßungen als Wahrheiten zu verbrämen. Das liegt in unserer Natur. Unser Gehirn ist nicht mit den richtigen Mechanismen zum Umgang mit Wahrscheinlichkeiten ausgestattet. Diese Schwäche tritt sogar – beziehungsweise bisweilen gerade – bei Fachleuten auf.
Der schmerbäuchige Spießbürger Monsieur Prudhomme, der im 19. Jahrhundert in vielen Karikaturen erschien, trug aus zwei Gründen ein langes Schwert bei sich: In erster Linie wollte er die Französische Republik gegen ihre Feinde verteidigen; in zweiter Linie wollte er sie aber auch selbst angreifen, falls sie von ihrem Kurs abweichen sollte. Auch dieses Buch verfolgt zweierlei Zwecke: Es soll zur Verteidigung der Wissenschaft dienen (als Lichtstrahl, der über zufällige Nebengeräusche hinaus den Weg weist), gleichzeitig aber auch Wissenschaftler attackieren, wenn sie vom richtigen Kurs abweichen (denn die größten Katastrophen sind darauf zurückzuführen, dass einzelne Wissenschaftler das Konzept des Standardfehlers nicht intuitiv verstehen und überhaupt nicht kritisch denken können und sich als ebenso unfähig erwiesen haben, in den Sozialwissenschaften mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten und diese Unfähigkeit auch nicht akzeptieren können). Im praktischen beruflichen
Weitere Kostenlose Bücher