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Es handelt sich um das Problem der Induktion. In diesem Buch nenne ich das den schwarzen Schwan beziehungsweise das seltene Ereignis. Solon erkannte eine weitere, damit im Zusammenhang stehende Schwierigkeit, die ich als das Problem der Schiefe bezeichne: Es spielt keine Rolle, wie oft man erfolgreich ist, wenn ein Scheitern unerträglich teuer wäre. Die Geschichte von König Krösus hat jedoch noch ein Nachspiel. Nachdem dieser Herrscher eine Schlacht gegen den gefürchteten persischen König Cyrus verloren hatte, sollte er gerade bei lebendigem Leib verbrannt werden, als er Solons Namen rief und (in etwa) seufzte: »Solon, Ihr hattet Recht!« (Auch das ist eine Legende.) Cyrus fragte, was dieser seltsame Ausruf zu bedeuten habe, und Krösus erzählte ihm von Solons Warnung. Das beeindruckte Cyrus so sehr, dass er das Leben seines Gegners schonte, denn ihm fielen die möglichen Wendungen seines eigenen Schicksals ein. Damals dachten die Menschen noch gründlich nach.
Kapitel 1
Reich ist nicht gleich clever
Ein Beispiel für die Auswirkungen des Zufalls auf die gesellschaftliche Hackordnung und die Eifersucht, erzählt anhand von zwei Figuren mit gegensätzlichen Einstellungen. Einiges zum verborgenen seltenen Ereignis. Wie schnell sich die Dinge im modernen Leben ändern können, außer vielleicht bei Zahnärzten.
Nero Tulip
Vom Blitz getroffen
Nero Tulip war vom Börsenhandel besessen, nachdem er an einem Frühlingstag beim Besuch der Chicago Mercantile Exchange Zeuge eines seltsamen Schauspiels wurde. Ein rotes Porsche-Kabriolett brauste mit einem Mehrfachen der innerstädtisch zugelassenen Geschwindigkeit heran und blieb abrupt vor dem Eingang der Warenterminbörse stehen, wobei seine Reifen wie Schweine beim Schlachten quietschten. Ein offensichtlich wahnsinnig sportlicher Mann zwischen 30 und 40 mit rot erhitztem Gesicht stieg aus und stürmte die Stufen hinauf, als sei ein Tiger hinter ihm her. Sein Auto ließ er mit laufendem Motor in zweiter Reihe stehen, was hinter ihm ein wütendes Hupkonzert auslöste. Nach einer endlos erscheinenden Minute kam ein gelangweilter junger Mann mit gelbem Jackett (Gelb ist an der Börse in Chicago die für Assistenten reservierte Farbe) die Stufen hinunter, offensichtlich völlig unbeeindruckt von dem entstandenen Verkehrschaos. Er fuhr den Wagen in die unterirdische Parkgarage – völlig teilnahmslos, als gehöre dies zu seinen täglichen Pflichten.
An jenem Tag erlebte Nero Tulip, was die Franzosen Coup de Foudre nennen – eine plötzliche (und obsessive) Vernarrtheit, die einen trifft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. »Das ist das Richtige für mich!«, rief er begeistert Er konnte nicht umhin, das Leben eines Börsenhändlers mit den Alternativen zu vergleichen, die sich ihm boten. Eine akademische Karriere beschwor das Bild eines stillen Büros an der Universität mit ruppigen Sekretärinnen herauf; ein Wirtschaftsunternehmen symbolisierte für ihn ein Büro voller Mitarbeiter, die alle mehr oder minder schwer von Begriff waren und sich in ganzen Sätzen auszudrücken versuchten.
Vorübergehende Zurechnungsfähigkeit
Im Gegensatz zu einem Coup de Foudre hat sich die durch die Episode in Chicago ausgelöste Vernarrtheit mehr als 15 Jahre später nicht gelegt. Denn Nero schwört Stein und Bein, dass kein anderer legaler Beruf unserer Tage so spannend sei wie der des Börsenhändlers. Obwohl er bislang die Laufbahn der Hochseepiraterie noch nicht ausprobiert hat, ist er heute davon überzeugt, dass er selbst als Seeräuber mehr langweilige Augenblicke erleben würde als im Börsenhandel.
Nero lässt sich am besten als ein Mensch beschreiben, der unbewusst (und plötzlich) hin und her wechselt zwischen dem Benehmen und der Sprechweise eines Kirchenhistorikers und der von Schimpfwörtern durchzogenen Intensität eines Chicagoer Pit-Traders. Er kann Hunderte von Millionen Dollar in eine Transaktion investieren, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder im Geringsten an seiner Entscheidung zu zweifeln, schwankt aber andererseits häufig zwischen zwei Vorspeisen auf der Speisekarte und ändert seine Meinung so oft, bis er auch den allergeduldigsten Kellner zur Weißglut getrieben hat.
Nero studierte an der Cambridge University antike Literatur und Mathematik. Er schrieb sich für ein Doktorandenstudium in Statistik an der University of Chicago ein, wechselte jedoch nach Belegung der erforderlichen Kurse kurz vor Abschluss seiner Doktorandenforschung in die
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