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Inhalt man sich leicht aus ihrem Inhaltsverzeichnis zusammenreimen kann (kaum einer liest Lehrbücher zum Vergnügen). Eine kleine Andeutung, was jetzt folgen wird, ist aber nichtsdestoweniger sinnvoll. Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste gewährt einen Blick hinter die Kulissen von Solons Warnung, denn sein Ausbruch über seltene Ereignisse wurde zu meinem lebenslangen Motto. Wir werden uns darin mit sichtbaren und unsichtbaren Historien und der schwer fassbaren Eigenschaft seltener Ereignisse (»schwarzer Schwäne«) beschäftigen. Der zweite Teil stellt eine Sammlung von Wahrscheinlichkeitsverzerrungen vor, die mir (zu meinem Leidwesen) in meiner Karriere im Zufallsumfeld begegnet sind und die mich heute noch täuschen können. Der dritte Teil veranschaulicht meinen persönlichen Kampf mit meiner Biologie und rundet dieses Buch mit der Vorstellung einer Hand voll praktischer Tipps (Wachs in meinen Ohren) und philosophischer Hilfsmittel (Stoizismus) ab. Vor der »Aufklärung« und dem Zeitalter der Rationalität gab es in unserer Kultur eine Trickkiste, die uns ermöglichte, mit unserer Fehlbarkeit und Schicksalsschlägen umzugehen. Unsere Vorfahren können uns immer noch mit einigen ihrer Kniffe hilfreich zur Seite stehen.
Teil I
Solons Warnung – Schiefe, Asymmetrie und Induktion
König Krösus von Lydien galt als der reichste Mann seiner Zeit. Bis zum heutigen Tag wird im Deutschen und in den romanischen Sprachen ein Mensch, der im Geld schwimmt, als »Krösus« bezeichnet. Man erzählt sich, dass Krösus Besuch von Solon erhielt, dem griechischen Gesetzgeber, der für seine Würde, Zurückhaltung, Rechtschaffenheit, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Weisheit, Intelligenz und Tapferkeit bekannt war. Solon zeigte angesichts der Opulenz und Pracht, die seinen Gastgeber umgab, kein bisschen Überraschung und auch nicht die geringste Bewunderung für ihren Besitzer. Krösus ärgerte sich so sehr, dass sein illustrer Besucher alles andere als überwältigt war, dass er versuchte, ihm etwas Anerkennung zu entlocken. Er fragte Solon, ob ihm jemals ein glücklicherer Mensch untergekommen sei als er, Krösus. Solon nannte einen Mann, der ein ehrenwertes Leben geführt hatte und im Kampf gefallen war. Auf weiteres Nachfragen führte er ähnliche Beispiele verstorbener Helden an, bis ihn Krösus voller Zorn rundheraus fragte, ob nicht er selbst der glücklichste Mensch auf Erden sei. Solon erwiderte: »Die Beobachtung der vielfältigen Ungemache, die alle Umstände begleiten, verbietet uns, angesichts unserer gegenwärtigen Annehmlichkeiten träge zu werden oder das Glück eines Mannes zu bewundern, das sich im Zeitverlauf noch ändern kann. Denn unsere unsichere Zukunft mit ihren vielfältigen Möglichkeiten ist noch nicht eingetreten, und wir können nur denjenigen als wahrhaft glücklich bezeichnen, dem die Götter fortgesetztes Glück bis ans Ende seiner Tage gewährt haben.«
Das moderne Äquivalent zu diesem Ausspruch formulierte der amerikanische Baseball-Coach Yogi Berra nicht weniger eloquent – er scheint Solons Ausspruch aus dem reinen Griechisch Attikas in nicht weniger reines Brooklyn-Englisch übersetzt zu haben, als er sagte: »It ain’t over until it’s over« beziehungsweise »s’is erst zu Ende, wenn’s ganz vorbei ist«. Das Zitat Yogi Berras zeigt nicht nur seine Wortgewandheit in seinem Dialekt, sondern hat auch den Vorteil, authentisch zu sein, während das Treffen zwischen Krösus und Solon zu jenen historischen Tatsachen gehört, bei der die Chronisten ihrer Fantasie freien Lauf ließen, da es vom zeitlichen Ablauf her unmöglich war, dass sich diese beiden Männer am gleichen Ort aufhielten. Teil I geht der Frage nach, inwieweit eine Situation im Laufe der Zeit noch Veränderungen unterworfen sein kann. Wir lassen uns nämlich oft von Situationen täuschen, in denen in erster Linie die Göttin Fortuna – Jupiters erstgeborene Tochter – ihre Finger im Spiel hat. Solon war weise genug, die folgende Tatsache zu verstehen: Was durch Glück gewonnen wurde, kann einem auch vom Zufall wieder genommen werden (und noch dazu schnell und unerwartet). Die andere Seite der Medaille, die ebenfalls Beachtung verdient (und uns faktisch auch stärker beschäftigen wird), lautet: Dinge, bei denen das Glück eine untergeordnete Rolle spielt, sind Zufälligkeiten gegenüber resistenter. Solon verstand auch intuitiv ein Problem, dessen Lösung die Wissenschaft seit drei Jahrhunderten beschäftigt.
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