Babel 1 - Hexenwut
lief, auf dem Daumennagel herumkaute und grübelte, ob ihre Schwester eine Dummheit anstellen würde.
Einen Dämon beschwören zum Beispiel.
»Ich krieg das hin, Judith, ehrlich.«
»Na gut, wenn du meinst, aber ...«
In diesem Moment drang das schrille Klingeln eines alten Telefons durch den Flur.
»Ich muss Schluss machen«, sagte sie hastig, »das Handy klingelt.«
Bevor Judith auch nur mehr sagen konnte als »Wag es nicht...«, hatte sie auch schon aufgelegt und war zur Garderobe gehastet, auf der das Handy lag. Das Display zeigte Mos Nummer an. Aber als sie den Anruf annahm und fragte: »Was ist?«, antwortete niemand.
Im Hintergrund waren Straßengeräusche zu hören, ein dumpfes Scheppern und Hupen. Vermutlich ein Müllauto, das Container aufnahm.
»Hallo?«
Noch immer nichts. Ein hohler Schlag zeigte an, dass der Container auf den Boden zurückgestellt wurde. Der Müllwagen fuhr weiter.
»Mo?«
»Babel?«, kam es auf einmal flüsternd.
»Was ist denn bei dir los?«
»Ich bin vor Annabeiles Haus ... Du musst herkommen. Das Siegel ist durchgebrochen ... Ich glaube, jemand ist da drin.«
Adrenalin schoss ihr durch die Adern und verdoppelte ihren Herzschlag. »Mach bloß keine Dummheiten, Mo! Geh nicht alleine rein. Warte vor dem Haus und versteck dich, bis ich da bin!«
Erneutes Schweigen.
»Mo? Hast du mich verstanden?« Sie brüllte fast, und ihr Herzschlag wechselte in einen unregelmäßigen Rhythmus. Die Vorstellung, dass Mo dem Mörder in die Arme laufen konnte, nahm ihr den Atem. Selbst wenn er so eine Plage war. »Mo!«
»Okay.«
»Versprich es mir!«
»Ich verspreche es.«
Was ist, wenn dort wirklich der Mörder wartet? Diese Hexe, die in Totenenergie badet? Bist du dem gewachsen?
Bei dem Gedanken krampften sich ihre Eingeweide zusammen. Seit der Auseinandersetzung mit den Zwillingen hatte sie keinen Kampf mehr gegen eine Hexe gehabt, und wie eine ver-blasste Erinnerung kehrte der Schmerz in den Rippen zurück.
Komm schon, reiß dich zusammen.
Wie zur Antwort färbte sich die Tapete im Flur schwarz, und die Magie floss warm durch Babels Körper.
Siehst du, ein Gedanke von dir, und schon ändert sich die Welt. Und jetzt beweg dich gefälligst.
Sie rannte in den Keller und zog eilig ihre Rüstung aus dem Schrank. Als ihre Finger das Gold berührten, gab es eine elektrische Entladung in die Luft, und die feinen Härchen auf ihren Armen stellten sich auf. Sie konnte die Magie auf der Zunge schmecken wie ein exotisches Gewürz. Süß, aber auch ein bisschen scharf und zähflüssig wie Sirup.
In Windeseile rannte sie wieder nach oben, schnappte sich Lederjacke, Schlüssel und Handy. Als sie das Haus verließ, blieb Urd bellend hinter der Tür zurück. Auf dem Weg zu ihrer Maschine wählte sie Toms Nummer. »Komm schon, nimm ab!«, fluchte sie, während sie mit zitternden Fingern den Schlüssel ins Zündschloss steckte.
»Ja?«, kam es nach einer scheinbaren Ewigkeit.
»Du musst sofort zu Annabeiles Wohnung kommen. Mo denkt, dass jemand drin ist.«
»Verdammt...«
Sie wartete nicht auf eine ausführlichere Antwort, sondern stellte das Handy lautios, damit das Klingeln nicht ausgerechnet dann einsetzen konnte, wenn sie sich vielleicht gerade an einen Einbrecher heranschlich.
In halsbrecherischem Tempo fuhr sie Richtung Baggersee. Dabei überfuhr sie drei rote Ampeln, schnitt zwei Autos den Weg ab, zeigte einem Radfahrer den Finger und stoppte für eine alte Frau, die mit ihrem Wägelchen Zeitungen ausfuhr und die Straße überquerte. Keine zehn Minuten später stand sie vor Annabelles Wohnhaus. Ihre Hände zitterten wie bei einer alten Frau, als sie von der Maschine stieg, weil die Magie so stark durch ihren Körper rauschte. Die Luft um sie herum verdichtete sich, und sie konnte das magische Knistern in den Fingerspitzen spüren. Ihre Zähne klapperten.
Du darfst nicht die Kontrolle verlieren.
Sie nahm den Helm ab und sah an der Hauswand empor, aber in den Fenstern spiegelte sich die Sonne. Sie konnte nicht erkennen, was dahinter vor sich ging.
Plötzlich ertönte hinter ihr ein Pfiff, und Babel fuhr herum. Auf der anderen Straßenseite stand Mo hinter einem Auto und winkte sie hastig zu sich. Sein Gesicht war schneeweiß und verbissen. Es gehörte nicht viel dazu, um zu begreifen, dass der Junge verängstigt war. Sie legte den Helm ab und überquerte die Straße. Als sie näher kam, wich er jedoch einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände.
»Whoa, was ist denn mit
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