Babel 1 - Hexenwut
du musst dich nur auf einen anderen Menschen einlassen, dann wirst du Sam schon vergessen. Wir sind keine Schwäne, die ein Leben lang lieben.
Bist du sicher?
Mit seinen grünen Augen sah er auf sie herab, und Babel verlor sich in diesem Blick, hinter dem sich eine unentdeckte Welt befand, die es zu erforschen galt.
»Ich frage mich, ob du nicht einen Fluch auf mich gelegt hast«, flüsterte Tom, während er die Hände an ihre Wangen legte und mit den Daumen über ihr Kinn strich.
»Du meinst einen Bann.«
»Ich meine, was ich sage«, erwiderte er heiser und küsste sie endlich.
Es fühlte sich anders an als mit Sam. Aber das tat es immer.
Wie alles an Tom war der Kuss gleichzeitig Werben und Drängen, ein stetiges Locken, dem man sich nicht entziehen konnte. Es fehlte die Schärfe, stattdessen schlug einen die Süße in ihren Bann, die Babel den Kopf verdrehte und die Gedanken lähmte. Sie hatte gedacht, ihr Kuss würde ihm Kraft geben, aber anscheinend war es genau umgekehrt - er gab ihr Kraft. Endlich konnte sie wieder ihren Körper spüren, ihn nicht nur benutzen, sondern sich auch an ihm erfreuen. Toms Küsse fielen wie Regen auf ausgedörrte Erde. Dort, wo seine Lippen ihren Körper berührten, Mund, Gesicht, Hals, pulsierte die Energie, wärmte sie erst von außen und dann von innen. Während Babel in den Himmel fiel, hielt sie sein fester Griff um ihre Schultern aufrecht.
Ohne auf Peking zu achten, küssten sie sich, und Babel vergaß noch im selben Moment, warum sie damit begonnen hatte. Um Sam zu vergessen, um Toms Lebensgeister zu wecken - all das spielte keine Rolle mehr. Diese Sache zwischen Tom und ihr war zu etwas Eigenem geworden, das wie ein Funkenregen auf ihre Haut traf. Sein Energiemuster pulsierte, um sie herum erwärmte sich die Luft. Der Teppich, auf dem sie standen, flatterte an den Ecken in die Höhe, und Babel lächelte in den Kuss hinein. Eine Leidenschaft ergriff von ihr Besitz, die sich nicht erklären ließ, als würde sie Tom schon ewig kennen.
Als sie sich voneinander lösten, trug sie seinen Geschmack auf der Zunge. Fasziniert betrachtete sie sein Gesicht.
»Was ist?«, fragte er amüsiert.
»Du.«
»Ich?«
Sie nickte.
Er küsste sie noch einmal, länger diesmal. Ihre Hände glitten durch sein Haar, berührten flüchtig die Ringe in seinen Ohren, um sich dann an seinen Schultern festzuhalten. Sie erforschte seinen Körper und wie sich die Muskeln unter dem Stoff bewegten, und das alles, ohne sich von ihm zu lösen.
Danach setzte sie erstaunt an: »Wieso ...«, konnte den Satz aber nicht beenden. Zwischen ihnen waberte die Luft, aufgeladen mit Magie.
»Wieso ich deine Nähe suche?« Ernst blickte er auf sie herab. »Du hast mich vielleicht erst gestern gesehen, aber mir bist du schon viel früher aufgefallen. Glaubst du etwa, wir wissen nicht, welche Hexen in unserer Stadt leben? Wir haben euch im Blick. Und du bist keine Frau, die man leicht übersieht...«
Babel begriff, dass sie die Plags unterschätzt hatte. Sie hatte sie nie wirklich wahrgenommen, nicht einmal, als sie ihre Bürohauswand beschmiert hatten. Sie waren gut darin, die Leute etwas glauben zu machen, und Babel war nicht besser gewesen als der ganze Rest, der dachte, eine Sache einschätzen zu können, wenn er nur einen flüchtigen Blick darauf warf.
Haste mal 'nen Euro?
Ach, nur ein Punk.
Zweifelnd sah sie ihn an. Wenn er sie schon länger beobachtet hatte, dann musste er wissen, welchen Geschäften sie nachging und zu welchen Zwecken sie ihre Magie einsetzte. Und dennoch stand er nun hier und küsste sie, als wären sie nicht, was sie waren, sondern nur zwei ganz normale Menschen?
»Es ist nicht schwierig herauszufinden, was du denkst, Babel. Und du hast mit allem recht. Du bist, was du bist, und ich bin, was ich bin. Aber das ist alles nicht entscheidend. Wahrheit ist nicht immer eine Entweder-oder-Sache. Manchmal trifft eben beides zu. Unsere Herkunft macht uns zu dem, was wir sind, und trotzdem fühle ich mich zu dir hingezogen. Du bist wie ein Magnet.« Ein schiefes Grinsen zupfte an seinem Mundwinkel. »Du bist doch alt genug, um dieses Gefühl zu kennen. Manche Sachen haben nichts mit Logik zu tun.«
Ja, aber gerade die unlogischen Lieben sind die gefährlichen.
Konnte es wirklich so einfach sein?
Du musst dich nur dafür entscheiden.
Der dritte Kuss war ungestüm, ein Ja! und ein Verdammt!, aber auch ein Ich will dich, und Halt mich fest!, ohne Luft zu holen, bis Babel schwindlig wurde.
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