Babel 1 - Hexenwut
dafür Modell gestanden hatte. Allerdings stellte sie die Frage nicht laut, denn sie befürchtete, er könnte ihr Interesse missverstehen.
Zögernd ging sie weiter in den großen Raum, den sie zu Beginn gesehen hatte. Noch immer war ihre Sicht eingeschränkt. An der Wand dem Schreibtisch gegenüber hingen Fotos hinter Glas, die alle das gleiche Motiv zeigten.
Feuer.
Wohnhäuser, Tonnen, Möbel, Städte und sogar Menschen. Alles brannte, und stumm stand Babel vor dieser Galerie der Zerstörung. Die Bilder zeugten von einer Besessenheit hinter der zivilisierten Fassade seiner Erscheinung, und bei dem Gedanken daran, wie Daniel seine Magie nutzte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Für einen Moment war sie unfähig, ihn anzusehen.
Als sie sich endlich zu ihm umdrehte, lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Er wusste genau, was sie beim Anblick der Feuerbilder dachte, und ihr Schrecken darüber amüsierte ihn. Er war weitaus gefährlicher, als er auf den ersten Blick schien - sie durfte ihn nicht unterschätzen.
Mit ausladender Handbewegung deutete er auf eine Sitzecke, die im Wesentlichen aus drei Stühlen und einem umgedrehten Blecheimer als Tischchen bestand, und widerwillig ging Babel darauf zu.
»Es wundert mich nicht, dass du hier bist«, sagte Daniel, nachdem er sich gesetzt hatte, und schlug die Beine übereinander. Seine Haltung war so locker, als wären sie alte Freunde.
»Ach nein?«
Er schüttelte den Kopf und lächelte weiter, aber dieses Lächeln hatte nichts Liebenswürdiges. Es erinnerte Babel an eine Katze, kurz bevor sie die Maus frisst. »Nein, auch wenn ich mir gern einbilden würde, dass du meinetwegen hier bist.« Er legte die gespreizten Finger der rechten Hand auf seine Brust, aber als sie nicht darauf einging, fuhr er fort: »Dein Besuch bei den Plags ist nicht unbemerkt geblieben. Das spricht sich rum.«
»Bei wem?«
Er zuckte mit den Schultern und sah gelangweilt aus dem Fenster. »Da fragt man sich natürlich, was du plötzlich mit diesem Pack zu tun hast. Na ja, von dort aus ist es dann kein weiter Weg mehr, um herauszufinden, welche Art Ärger die Plags gerade haben.«
»Du weißt also von den Morden?«
»Die ganze Stadt weiß von den Morden. Seit Wochen wird darüber berichtet.«
Vielleicht wurde es Zeit, dass Babel eine Zeitung abonnierte.
»Aber die ganze Stadt weiß nicht, dass es sich dabei um Plags handelt, oder?«
Das Katzenlächeln kehrte zurück. »Und die Tatsache, dass du jetzt auf meiner Türschwelle aufgetaucht bist, erzählt mir auch noch den Rest der Geschichte. Nämlich, dass du glaubst, eine Hexe wäre dafür verantwortlich. Das Einzige, was noch zu klären wäre, ist, wieso du dich genötigt fühlst, mir mit dieser Krähe auf den Leib zu rücken. Das war nicht sehr höflich. Was sollte sie für dich herausfinden? Ob ich in letzter Zeit Kontakt mit Totenenergie hatte?«
Niemand konnte behaupten, dass Daniel dumm wäre.
Es war zwecklos, jetzt noch zu leugnen - immerhin hatte er sie sozusagen auf frischer Tat ertappt. Manchmal kam man bei Leuten wie Daniel schneller voran, wenn man die Karten auf den Tisch legte und ihnen das Gefühl gab, sie bestimmten das Spiel. Also nickte sie.
»Mhm, ich kann dir versichern, dass ich mit den Morden nichts zu tun habe, Babel. Aber natürlich wirst du das nicht einfach glauben, nicht wahr?« Er verschränkte die Finger im Schoß. »Möchtest du dich selbst davon überzeugen?«
Misstrauisch schaute sie ihn an. »Du hebst die Sperre wieder auf?«
»Wenn du das möchtest.«
»Und die Gegenleistung?«
Er schüttelte den Kopf.
»Komm schon, dafür kenne ich dich zu gut.«
»Glaub mir, du könntest mich noch viel besser kennenlernen.« Das Lächeln bekam eine anzügliche Note.
»Nein, danke, verzichte.« Sie streckte die Beine aus und imitierte seine Haltung. »Es ist doch in deinem Sinne, wenn du von der Verdächtigenliste runterkommst, findest du nicht? Immerhin braucht keiner von uns einen wütenden Mob Plags, die auf Lynchjustiz aus sind.«
»Die Plags sind kein Problem für mich.«
Babel lachte. »Ja, genau, deshalb bist du auch so gut über sie informiert.«
Eine Weile starrten sie einander schweigend an, ihre Blicke wie in einem stummen Kräftemessen ineinander verhakt. Dann verschränkte Daniel die Arme. Das Bild der Krähe flackerte und kam langsam wieder zum Vorschein. Daniel hatte die Sperre aufgehoben. Sie wechselte in die Perspektive des Vogels und lenkte ihn erneut zu der großen Fensterfront. Daniels
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