Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
Magiezimmer.
Magiezimmer waren für Hexen Ritualplätze, es waren Arbeitsstätten, und keine Hexe mochte es, wenn sie darin jemand überraschte. Der Raum war eine intime Angelegenheit, in mancher Hinsicht sogar intimer als Sex, denn er war aufgeladen mit Babels magischen Energien.
An der gegenüberliegenden Wand standen drei Stahlschränke, die bis unter die Decke reichten und mit Hilfsmitteln für Zauber und Rituale gefüllt waren. Kräuter, verschiedene Tierschädel, Weine, Kreide und ein ganzer Sack voller Holzasche, die sie von einem Förster bekam. Der Fußboden des Magiezimmers bestand vollkommen aus Stahlemaille mit aufgetragener Grünfarbe. Im Grunde war es eine riesige Tafel, auf der Babel ihre Symbole aufzeichnete, wenn sie doch einmal mit Ritualen arbeitete. Daher gab es in einer Ecke auch einen Wasseranschluss, unter dem ein Eimer mit Scheuerlappen stand. Nur wenige Meter daneben hatte Babel zwei hüfthohe schwarze Statuen Ägyptischer Mau aufgestellt, die sie auf einem Flohmarkt erstanden hatte und die als Energieleiter dienten. Sie waren mit Babels Energie aufgeladen, und ihre schwarzen Katzenaugen blickten als stumme Wächter starr auf das Geschehen.
An der vierten Wand hing ein riesiger Stadtplan, der fast die gesamte Fläche einnahm. Mit rotem Filzstift waren die Wohnorte der anderen Hexen eingezeichnet. Wo andere Karten Sehenswürdigkeiten auflisteten, hatte Babel Notizen zum magischen Netz der Stadt hingekritzelt.
Ehemaliger Henkersplatz, viel Totenenergie.
Viertel mit hoher Mordrate, Geisteranteil hoch.
Vor dem Rathaus starke magische Impulse, möglicherweise früherer Ritualplatz.
Messegelände – fast magiefrei, Störung im magischen Feld.
»Ernies Imbiss« – beste Pommes der Stadt.
Eine mit schwarzem Marker gezogene Grenze umriss das Viertel, in dem Sam wohnte. Nachdem er in die Stadt gezogen war, hatte sie es nie wieder betreten.
Babel öffnete den linken Schrank und blickte auf die unzähligen Schachteln, die die Regale füllten. Hexen waren bessere Tupperwareabnehmer als jede bayrische Hausfrau, und allein in diesem Schrank steckte ein kleines Vermögen in Plastik. Vom obersten Regal nahm sie das schwere, handbreite Silberarmband und legte es an. Außerdem stellte sie eine kleine Flasche mit dem Etikett lose Zunge auf den Fußboden, deren Inhalt nach Muskatnuss roch und genau das verursachte: eine lose Zunge. Dann füllte sie die Tüte Holzasche auf, die sie immer bei sich trug, wenn sie das Haus verließ.
Anschließend entrollte Babel den schmalen rechteckigen Teppich, der zusammengerollt auf dem Schrank gelegen hatte, in der Mitte des Raums und legte sich ausgestreckt darauf. Ein paarmal atmete sie tief ein und aus. Die Arme über den Kopf gestreckt, konnte sie unter ihren Händen den Boden fühlen und sich auf die Energien konzentrieren, die ihren Körper und den Raum durchströmten.
Sie schloss die Augen und dachte an das wichtigste Gesetz der Magie: Du musst es dir vorstellen können!
Hier, Babel, warum malst du nicht ein paar Bilder?
Ich will aber lieber draußen spielen, Mama.
Komm schon, sei ein braves Kind und setz dich an den Küchentisch!
Stundenlang hatte Maria mit ihren Töchtern Techniken trainiert, die die Vorstellung schulten, bis Babel eine Meisterin darin geworden war, sich tanzende Pinguine mit roten Partyhüten und Sonnenbrillen vorzustellen, die auf einem Seil zwischen zwei Palmen balancierten.
Eine Weile füllte sie eine ganze Menagerie in ihrem Kopf mit exotischen Hybridwesen, bevor sie dazu überging, sich das Flusssystem ihres Körpers vorzustellen. Sie verband die Bilder in ihrem Kopf mit dem Empfinden ihres Körpers. Die Energie besaß eine blassblaue Farbe, aber in ihrer Vorstellung war sie zähflüssiger und langsamer als Elektrizität. In den Nervenzentren spürte sie das Ansteigen der Magie, es kribbelte im Solarplexus, und die Kopfhaut juckte. Ihr rechtes Handgelenk wurde warm. Der Armreif lud sich mit ihrer Magie auf.
Yoga für die magisch Aktiven und körperlich Faulen.
Am Ende dieser Übungen pulsierte die Magie unter ihrer Haut wie ein Jagdhund, der darauf wartete, zum Einsatz zu kommen.
Noch ist es nicht so weit. Hab Geduld!
Sie stand auf und verließ den Keller. Nachdem sie ins Obergeschoss zurückgekehrt war, rief sie Karl im Büro an. Seine Stimme klang wie Sandpapier, und sie konnte förmlich hören, wie er mit den Zähnen knirschte, weil ihm der Schädel brummte.
»Erinnere mich daran, dass ich nicht wieder mit dir trinken
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