Baby-Bingo
Zeit, die wir dem Kinderwunsch opfern können, langsam Obergrenzen gesetzt. Dazu kommt bei Carla die physische Belastung. Besonders die Aufnahme von Hormonen hat ihre Körperharmonie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Nicht zu vergessen der ständige Psychostress, durch den wir beide dünnhäutiger geworden sind. Und das ist auf Dauer nicht mehr machbar.
Ein ausgeglichenes Privatleben ist auch wichtig, um Erholung vom Berufsalltag zu finden, um durchzuschnaufen und neue Energie zu tanken. Dieser Effekt fehlt uns nun seit fast zwei langen Kinderwunschjahren. Carla noch mehr als mir. Jede freie Minute verbringt sie am Computer, um im Internet nach Möglichkeiten der Chancenverbesserung zu forschen.
Auf jeden Fall möchte Carla nicht sofort mit einer zweiten IVF weitermachen. Was ich verstehen kann. Sie nutzt die Pause, bis wir uns auf einen neuen Schritt festlegen, um einige der vielen Tipps abzuarbeiten, die sie in den letzten Monaten bekommen hat. Die reichten von Wundermitteln bis hin zu Wunderheilern.
Warum auch nicht? Es ist zumindest ein Weg, gegen die zunehmende Mutlosigkeit anzukämpfen. Denn ganz nüchtern betrachtet, ist unsere Lage aussichtsloser denn je. Wie die Strahlen der untergehenden Sonne am Horizont, schwinden auch langsam unsere letzten Hoffnungsschimmer, doch noch späte Eltern zu werden. Je größer aber unsere Verzweiflung wird, desto mehr klammern wir uns aneinander. Die Situation und der große Rückschlag schweißen uns noch enger zusammen.
Es mag eine Art von Galgenhumor sein, aber es gelingt uns manchmal sogar, einige Erlebnisse von Carlas Zuwendung zu alternativen Heilmethoden mit Humor zu sehen. So zum Beispiel ihren Besuch bei einer betagten Heilpraktikerin, die ihr eindringlich empfohlen wurde. Deren Behandlung erschöpfte sich jedoch darin, Carla nach ihrer Lieblingsfarbe zu fragen. Dann durfte sie sich dreißig Minuten lang in einem muffigen und kühlen Kellerraum unter eine altertümliche Lampe mit einer davor geklemmten Farbfolie im von ihr bevorzugten Farbton Blau legen. Das war auch schon das ganze Therapieprogramm. Für die 70 Euro, die Carla dafür investieren musste, können wir in alle Lampen unserer Wohnung farbige Glühbirnen schrauben. Und sogar noch in die Autoscheinwerfer.
Weitaus vielversprechender war dagegen eine Moxa-Anwendung bei einem hoch gerühmten chinesischen Arzt in München. Diese traditionelle Moxa-Therapie hat in der chinesischen Medizin einen ähnlich hohen Stellenwert wie Akupunktur.
Der Arzt verteilte Ingwerscheiben auf Carlas Bauch und stellte darauf kleine Kegel aus Blättern der Gewürzpflanze Beifuß. Diese entzündete er, sodass sie langsam verglimmten, während sie zunehmende Hitze auf die Therapiepunkte abgaben. Bevor sich die Kegel bis ganz unten vorangebrannt hatten, verschob der chinesische Arzt die Ingwerscheiben an andere Stellen, stellte einen neuen Kegel darauf und entfachte dort wieder ein Feuerchen.
Dadurch wird über die Hitzeeinwirkung auf die Akupunkturpunkte das Meridiansystem stimuliert und die körpereigenen Energien wieder zum Fließen gebracht.
Carla, die ja überzeugt von der Wirksamkeit von fernöstlichen Heilmethoden ist, war von der ersten Sitzung total begeistert.
Ihre Haut dagegen weniger. Sie scheint zu sensibel dafür zu sein. Jedenfalls machten sich nach dem China-Ausflug an den behandelten Stellen schmerzende Verbrennungsblasen bemerkbar. So etwas musste gerade ihr passieren, die ihre Haut penibelst pflegt und im Sommer bereits bei der Vorvorstufe eines minimalen Sonnenbrands hysterische Anfälle bekommt. Schweren Herzens musste Carla deshalb diese Behandlung abbrechen.
Gegen einen Tee mit dem interessanten Namen »Frauenmantel«, der ihr ebenfalls empfohlen worden war, legte dagegen ich ein heftiges Veto ein. Denn nachdem Carla ihn zum ersten Mal aufgebrüht hatte, roch die Wohnung zwei Tage lang, als hätten wir Pferdeäpfel verteilt und dann alte Autoreifen in Brand gesteckt. Ein Tee, der solche Düfte verbreitet, kann nicht wirklich gesund sein. Das ist zumindest meine Meinung.
Die Aufnahme in Carlas Standard-Doping-Programm schafften dagegen Schüßler-Salz, das den Mineralienhaushalt anreichern und den Körper auf Empfängnisbereitschaft umstellen helfen soll, sowie der legendäre Mönchspfeffer, der in der KiWu-Szene als wahres Wundermittel zur Zyklusregulierung und damit auch fürs künftige Kinderglück gilt.
Nicht nur mit Tipps unterstützten Freunde den Trip in alternative Sphären. Wir bekamen
Weitere Kostenlose Bücher