Babylons letzter Wächter (German Edition)
richtete er sich ein, so gut es ging. Die Heizung rasselte wie die Bronchien eines Tuberkulose-kranken, wurde aber nicht warm. Eine Küche gab es nicht, und auch keine Dusche. Bis der Installateur kam, befüllte er im Erdgeschoss einen Eimer mit Wasser, wenn er sich waschen wollte. Es dauerte Wochen, bis sein Loft wohnlich wurde. Douglas stellte eine Hantelbank auf und begann Sport zu treiben. Er wollte sich vom Schatten seiner Vergangenheit lossagen. Er hatte ein großes Poster von seinem Avatar aufgehängt. So wollte er einmal aussehen. Gleichzeitig arbeitete er zwölf Stunden am Tag, manchmal dreizehn. Es störte ihn nicht, da er sein eigener Boss war. Die Überstunden, die er leistete, hatte er selbst angeordnet. Er musste neue Leute einstellen. Ein Webdesigner, der seinen Shop am Laufen hielt. Douglas wollte neue Zahlungsmethoden anbieten, wusste aber nicht, wie er diese implizieren sollte. Unten in der Halle schraubten Arbeiter das neue Regalsystem zusammen. Sie blieben, um die frisch eingetroffenen Verpackungsmaschinen in Betrieb zu nehmen. Douglas fragte sie, ob sie nicht lieber für ihn arbeiten wollten. Die Gewinne stiegen, und er konnte übertariflich gut zahlen.
Jeder investierte in die New Economy. Highspeed-DSL wurde erschwinglich und damit massentauglich. Täglich schossen sieben Millionen neue Internetseiten auf den Markt, der einfache Mann von der Straße war endlich in der globalen Welt angekommen. Douglas zog aus seinem Loft aus und kaufte eine exklusive Penthousewohnung mit Blick auf den Park. Aus dem Loft wurde ein Großraumbüro. Er ließ Wände hochziehen, um sein eigenes kleines Zimmer der Macht abzuteilen. Ein schwerer Schreibtisch aus massiver Eiche dominierte den Raum. Nun konnte Douglas sich einen erlesen Geschmack leisten, wie es einem Großindustriellen gebührte. Durch die verspiegelten Scheiben konnte er seine Arbeiter beobachten. Ein fleißiger Bienenstaat, nur für ihn allein.
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Es gab nur einen Haken, von dem seine Angestellten nichts wussten. Die Aktien von www.erodildo.com wurden an der Börse höher dotiert als ihr eigentlicher Wert. Winchester verbrachte wieder mehr Zeit in der Firma, um die Buchhaltung selbst in die Hand zu nehmen. Seine Sachbearbeiterinnen degradierte er zu einfachen Sekretärinnen herunter, die für ihn die Ablage machten. Aber immer noch besser, als ihnen die Wahrheit zu sagen. Der Aktienwert berief sich auf zu erwartende Gewinne. Eine gängige Praxis, der sich auch Douglas gern angeschlossen hatte. Denn von hohen Aktienkursen profitierte er als Hauptaktionär am meisten.
Mittlerweile handelte es sich um Kapital, dass nur noch auf dem Papier bestand. Seine Firma hatte alle Reserven aufgebraucht. Und sie brauchten dringlichst neue Gelder für den Fuhrpark. Um Geld zu sparen, hatte er am Anfang einige günstige LKWs aus zweiter Hand gekauft, die ihm jetzt unter dem Hintern wegrosteten. Er würde mit den Banken reden müssen, bevor Gerüchte umgingen. Wenn sie ihm die Kredite genehmigten, war alles in Butter. Wenn nicht… daran mochte er gar nicht denken. Douglas Winchester verschloss sein Büro von innen und holte das Kästchen Koks heraus, das er in der obersten Schublade versteckte. Nach einer Line würde die Welt gleich viel besser aussehen.
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Wie so viele Dot.com-Besitzer verlor er seine Firma. Das Mythos New Economy war am Boden zerstört. Wie versteinert stand er in seinem Geschäft und sah zu, wie der Gerichtsvollzieher sein Inventar taxierte und auf einer Liste vermerkte. Vom Erlös der Zwangsvollstreckung würde er nichts abbekommen. Erst würden die Gläubiger ausgezahlt, dann lange gar nichts, und dann er. Bis dahin blieb nichts mehr übrig. Das Penthouse am Park außerhalb seiner Möglichkeiten. Er hielt die Stellung solange, bis ihn der Hausverwalter rauswerfen ließ. Nicht einmal eine Wohnung an der Downside konnte er sich noch leisten. So irrte er ziellos durch die Straßen, bis er vor Erschöpfung auf einer Parkbank einschlief.
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Sein neues Leben richtete er ein wie sein altes- warum auf Gewohnheiten verzichten? In den Hinterhöfen der Nobelboutiquen wühlte er nach Kartons, die sein neues Zuhause werden sollten. Er richtete sich sein Domizil vor Tiffanys ein, mit bestem Blick auf den Park. Lebte vom Müll der feinen Gesellschaft, die er einst bedient hatte. Durch die Nähe zu ihnen schien es ihm, als wäre er nie weg gewesen. Er hätte das Walldorf Astoria betreten können wie früher. Zum Teufel, warum
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