BACCARA EXKLUSIV Band 40
Moralvorstellungen. Sie erinnerte sich noch gut an das erste Mal, als sie ihn getroffen hatte – nicht weil diese Begegnung sie besonders angeregt hätte, sondern weil das engstirnige Urteil, das Daniel sofort über sie gefällt hatte, sie so aufgebracht hatte.
Daniel hatte nicht die Freundlichkeit, Höflichkeit und Intelligenz an den Tag gelegt, von denen Annie immer so geschwärmt hatte. Nein, der unmögliche Flegel hatte die Nase über sie gerümpft und sich auf Grund ihrer Arbeit und ihres Aussehens jede Menge Vorurteile über sie gebildet.
Natürlich war sie es gewohnt, dass Männer das taten. Die meisten nahmen an, sie wäre leicht zu haben, und versuchten sich an sie heranzumachen. Doch sie hatte in all den Jahren gelernt, die Erwartungen dieser Männer schnell zu korrigieren.
Aber Daniel hatte sie für unwert befunden und sie nicht nur nicht in seinem Bett haben wollen, er billigte auch nicht die Freundschaft seiner Schwester zu ihr. Zu ihrem Glück entwickelte Annie jedoch einen eigenen Willen und gehorchte den Befehlen ihres großen Bruders nicht mehr. Und das gab Daniel natürlich die Gelegenheit, ihr, Lacy, auch noch vorzuwerfen, sie würde seine kleine Schwester – Annie war fünfundzwanzig! – gegen ihn aufhetzen.
Allerdings hatte sie ihrerseits nichts getan, um Daniel von seinen lächerlichen Vorstellungen abzubringen. Sie hatte ihn in seinem Glauben gelassen, weil es sie geärgert hatte, dass er so wenig von ihr hielt. Als ob sie etwas für ihr Aussehen könnte. Sie hatte nun einmal die hellblonden Haare, die grünen Augen und die wohlgerundeten Formen ihrer Mutter geerbt, was ihr schon viel Ärger, aber keine Schande bereitet hatte.
Was ihre Arbeit betraf, so war die ihr sehr wichtig, und sie war ebenso stolz darauf wie Daniel auf seine Tätigkeit. Sie half den Menschen, mit ihren Problemen fertig zu werden. Aber das würde er natürlich niemals so sehen.
Sie fand, dass er viel zu ernst, im Grunde sogar trübselig war. Ihn zu piesacken war wie eine Art Vergeltung für sein griesgrämiges Verhalten. Aber in letzter Zeit war es zu einem richtigen Wettkampf geworden. Nur ein einziges Mal wollte sie ihm eine andere Gefühlsäußerung entlocken als kalte Verachtung und Sarkasmus. Sie wollte ihn leidenschaftlich brüllen hören oder voller Feuer reagieren sehen. Aber das würde wohl niemals geschehen. Der gute Doktor besaß offenbar ein Patent auf Nüchternheit.
Daniel kam wieder herein, und ohne ein Wort an sie zu richten, fing er an, eine Spritze vorzubereiten. Sie spürte die kühle Luft an ihrem Po und atmete erleichtert auf, als die Schwester, die Daniel mit einem nachdenklichen Blick betrachtete, schnell wieder das Laken über ihre Kehrseite zog.
„Was tust du da?“, fragte sie Daniel misstrauisch.
„Ich werde dir eine Injektion geben, um deinen … um den verletzten Bereich zu betäuben, und dann werde ich die Wunden nähen.“
„Daniel …“
„Kennst du den Namen des Hundebesitzers? Die Polizei wird ihn wissen wollen, und wir müssen einen Bericht abgeben.“
„Vergiss es. Ich kenne den Mann, und den Hund auch, und das Tier ist nicht wirklich böse. Es hat sich einfach nur schrecklich aufgeregt.“
„Lacy.“ Ernst sah er sie an. „Und wenn der Hund sich aufregt, wenn ein Kind in der Nähe ist? Was dir passiert ist, könnte für ein Kind zehn Mal schlimmer ausgehen.“
„Du hast recht. Tut mir leid.“
Daniel wirkte überrascht, als sie so schnell einwilligte, und nickte dann.
Sie überlegte angestrengt. Irgendetwas musste geschehen. Denn schon der Gedanke, der Hund hätte seine Zähne in den Körper eines kleinen Kindes bohren können, ließ sie erschaudern. Der Hund war zwar ein ständiges Ärgernis, ewig bellend und offensichtlich ohne die geringste Disziplin, aber er gehörte einem Mann, der sehr einsam war und dessen einziger Freund er war.
„Was werdet ihr unternehmen?“, fragte sie.
„Ich bin nicht sicher. Zunächst einmal müssen wir sehen, ob er alle nötigen Impfungen erhalten hat.“
„Das hat er. Sein Besitzer hat es mir versichert, nachdem er seinen Hund von mir loskriegen konnte.“
Daniel zuckte zusammen und fluchte leise, und sie glaubte fast, so etwas wie Mitgefühl in seinem Gesicht zu erkennen. Unmöglich, dachte Lacy verblüfft.
„Ich kann nicht glauben, dass du nicht wütend bist.“ Während er sprach, trat er hinter sie und hob das Laken hoch.
Sie wünschte, sie wäre tot. Sie wollte ihm befehlen, die Augen zu schließen oder den Blick
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