BACCARA EXKLUSIV, BAND 64
Pfades war schwierig, doch nach einer halben Stunde bot sich der Pfad geradezu an für einen gestreckten Galopp am Rand der Schlucht entlang. Und als Monty das Geröllfeld endlich hinter sich ließ und auf das Plateau gelangte, tätschelte sie ihm den Hals und lobte ihn. Dann ließ sie die Zügel schießen.
„Los, mein Junge, los!“
Lucy lehnte sich nach vorn, jeden Muskel ihres Körpers angespannt. In höchster Konzentration kniff sie die Augen zusammen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Eine Mütze schützte ihre Ohren, und Lammfellhandschuhe verhinderten, dass ihr vor Kälte die Finger steif wurden.
Sie jagten nur wenige Meter neben dem Rand der Schlucht dahin. Sechzig, siebzig Meter unter ihr floss der Fluss durchs Tal. So weit das Auge reichte, säumten die Abhänge der Schlucht das Thunderstrike Valley bis hinüber zu den großartigen Southern Alps.
Nach einer Weile beendete sie den Galopp und verharrte ein paar Minuten, um zu Atem zu kommen. Dann stieg sie ab.
Sie lockerte den Sattel und rieb Monty die Brust und die Flanken mit einem alten Handtuch aus ihrer Satteltasche ab. Danach führte sie ihn zu einem Felsvorsprung in etwa zehn Metern Entfernung vom Rand des Abgrunds. Am Fuß des Vorsprungs lagen Felsbrocken inmitten eines Stechginstergestrüpps. Es gab eine Öffnung im Felsen, die man aber erst sah, wenn man direkt davorstand.
Das war ihr Lieblingsplatz.
Lucy nahm ihre Mütze ab und warf Monty lose die Zügel über, damit er umhergehen und Futter suchen konnte.
Sie bog den Ginster etwas beiseite und trat in die Felsöffnung. Dort lag ein großer Stein, auf dem man etwas erhöht sitzen konnte und die Sicht war nicht durch das Gestrüpp am Eingang behindert. Die Aussicht war atemberaubend.
Als sie klein war, hatte ihre Mutter sie manchmal hierher mitgenommen. Sie hatte vor ihr im Sattel gesessen und es genossen, sich am Pferd festzuklammern, während es den steilen Pfad den Abhang hinauf erklomm.
„Ich sehe was, was du nicht siehst!“, hatte sie gerufen, als sie dann in der Felsöffnung saßen. „Es fängt an mit …“
Sie hatten Sandwiches gegessen und oft stundenlang hier gespielt. Einmal waren sie von einem Gewitter überrascht worden, doch statt sich zu fürchten, hatte sie begeistert beobachtet, wie die Blitze ins Tal hinabzuckten.
Jetzt schob sich die blasse Sonne langsam durch den Morgendunst. Es war so ruhig, dass die Stille fast greifbar war. Lucy reckte sich, um den Fluss unten im Tal sehen zu können.
Sie konnte das alles hier nicht verlieren. Ihr ganzes zielloses Leben schien hierher zu führen, zu diesem Panorama, das sich vor ihr ausbreitete. Keine Landschaft, die sie auf ihren Reisen zu sehen bekommen hatte, konnte es hiermit aufnehmen. Auf unerklärliche Weise stand diese Aussicht für ihre Sehnsucht nach einem Zuhause. Dabei war ihr nur allzu bewusst, dass die Stunden hier oben mit ihrer Mutter die letzten Stunden voller Geborgenheit und Liebe in ihrem Leben gewesen waren.
Monty wieherte und bekam ein Wiehern als Antwort. Alarmiert blickte Lucy zu ihm hinüber, gerade in dem Moment, als Ethan Rae von Tilly absaß, einer der Stuten auf Summerhill. Sie wurde von Aufregung gepackt. Warum traf sie überall auf diesen Mann?
Beruhigend tätschelte Ethan Monty den Hals.
Ihr erster Impuls war, in ihrem Versteck zu bleiben, doch da sie nicht wollte, dass er sich Sorgen machte, stand sie auf und bog den Stechginster zur Seite. „Wie haben Sie den Weg hierherauf gefunden?“, rief sie ihm zu.
Er sah zu ihr herüber, und Lucy fragte sich, ob es Freude war, die ihren Puls beschleunigte oder Verärgerung, weil sie in einer gefühlsbetonten Stimmung gestört wurde.
„Ich bin Ihnen gefolgt, als Sie das Schwimmbad verließen.“ Er warf seiner Stute lose die Zügel über. Auf dem Weg zu ihr ließ er seinen Blick über ihre Lammfelljacke schweifen, ihre schwarze Jeans, ihre Reitstiefel. „Schönes Fleckchen Erde.“
„Mein Lieblingsplatz.“
„Das kann ich gut verstehen.“
Lucy merkte, dass seine Aufmerksamkeit immer noch mehr ihr galt als der Aussicht. „Ich kam früher häufig mit meiner Mutter hierher.“ Sie schob die Hände in ihre Jackentaschen. Unaufgefordert setzte Ethan sich auf ihren Felsen, und obwohl reichlich Platz für zwei war, blieb Lucy stehen. Ihren Lieblingsplatz mit jemandem zu teilen, erschien ihr zu intim. Besonders wenn dieser Jemand ihre Hormone in Aufruhr versetzte.
Falls er auch nur die leiseste Ahnung von ihren Gedanken hatte, schien Ethan Rae
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