BACCARA EXKLUSIV, BAND 64
waren zwei Wagen geparkt. Ein älteres, rostiges Exemplar mit örtlichem Kennzeichen und ein Mietwagen. Er ging zu dem Mietwagen, der direkt vor dem Bungalow Nummer drei stand.
Die Tür war offen, und er konnte, ohne gesehen zu werden, die Unterhaltung die drinnen stattfand, mit anhören. Die Dusche lief, aber die Badezimmertür war offenbar auch nicht ganz geschlossen.
„Ich habe einen Wäschetrockner. Ich denke, in einer Stunde sind Ihre Sachen fertig. Soll ich Ihnen etwas zu Essen bringen?“
„O ja. Egal was. Und, Clemmie … vielen Dank!“
Du lieber Himmel, wieso klang sie nur so schrecklich erleichtert? Er hätte sie ja auch zurückgebracht, in ein oder zwei Tagen. Sie hätte nur zu fragen brauchen.
Die Frau, die Clemmie genannt wurde, trat aus der Tür. „Suchen Sie mich, Mister? Ich komme sofort. Muss nur rasch diese Sachen in die Waschmaschine stecken.“
Jasmine ließ sich alle Zeit der Welt unter der Dusche. Wie lange hatte sie das entbehren müssen!
Sie nahm noch einmal eine Handvoll von Clemmies Shampoo und seifte sich genüsslich mit dem dicken, wundervoll duftenden Schaum ein. Clemmie war so nett gewesen, es ihr zu leihen.
Die Leute hier im Osten waren überhaupt alle sehr nett. Sie wollte jeden Einzelnen in ihrer Story erwähnen, die in ihren Gedanken bereits epische Ausmaße annahm.
Natürlich wären sie und Lyon die Hauptpersonen, aber Clemmie und Catfish und Horton würden zumindest sehr wichtige Nebenrollen spielen.
Oh, verflixt, sie tat es ja schon wieder! Sie tat, als sei das ganze Leben ein Drehbuch. Als sei Jasmine Clancy eine Romanheldin, teils Abenteurerin, teils Heilige. Mit Aschenputtel und Dornröschen hatte alles angefangen. Irgendwann, im Lauf ihres Lebens, hatte sie begonnen, ihren Traum vom Leben als die Wirklichkeit zu nehmen.
Eine Wirklichkeit, die darin bestand, dass sie keinen Vater hatte und ihre Mutter fast nie da war, weil sie Tag und Nacht arbeiten musste, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren; darin, dass sie immer wieder „Die Neue“ in der Klasse war und versuchen musste, Freunde zu finden, nur um sie nach kurzer Zeit wieder zu verlieren, weil sie erneut umzogen; darin, dass sie ihre Mutter früh verlor; dass sie ihren Vater erst wiederfand, als er schon todkrank war; darin, dass ihre eigene Großmutter nichts mehr von ihrem Sohn, geschweige denn von ihrer Enkelin wusste.
„Jasmine Clancy, du bist ein hoffnungsloser Fall“, sagte sie laut, während sie sich in der vom Dampf beschlagenen Duschkabine aus Hartplastik betrachtete.
Sie hüllte sich in ein Badetuch, schob die Kabinentür auf – und schrie auf. „Was tust du denn hier? Ich denke, du bist im tiefen Dschungel!“
„Im Sumpf, meinst du. Ich brauche neue Vorräte.“
„Hier, im Bad? Ich wüsste nicht, wo du dir hier Vorräte besorgen könntest. Frag am besten Clemmie.“
„Ich habe meinen Wagen in der Stadt gelassen. Du könntest mich mitnehmen.“
Sie verdrehte die Augen. „Nicht schon wieder. Wenn ich dich nach Columbia bringe, was ist dann mit deinem Boot? Willst du es einfach hierlassen? Und wie kommst du dann zurück zu deinem Camp?“
Statt einer Antwort lehnte er sich lässig mit der Schulter an die Wand, kreuzte die Fußknöchel und betrachtete sie, Jasmine, mit seinen unglaublich blauen Augen. Augen, die so gar nicht zu diesem kantigen Gesicht passen wollten. Er sah überhaupt nicht danach aus, als ob er irgendjemandes Held sein könnte, dennoch war sie sich vollkommen sicher, dass er ihr Held war.
Oder besser, er hätte es sein können, unter anderen Umständen. „Weißt du was, Lyon? Du hast mir noch nie erzählt, wer du eigentlich bist, wo du arbeitest und was du im Sumpf zu suchen hast.“
„Hab’ ich doch. Ich war auf der Suche nach meiner Vergangenheit, hast du das vergessen?“
„Das weiß ich nicht von dir. Das stammt von Catfish, hast du das vergessen?“ Jetzt machte sie sich einmal über ihn lustig.
Er zuckte mit den Schultern und verzog dabei nicht einmal das Gesicht. Wie lange ihm sein Rücken wohl schon keine Probleme mehr machte? Ganz am Anfang hatte er ihr bestimmt nichts vorgemacht, aber später …
„Du kennst meinen Nachnamen.“
„Aber auch nicht von dir.“
„Einen festen Wohnsitz habe ich nicht. Und was meine Arbeit betrifft, ich bin gerade auf der Suche nach einem Job.“
„Ich glaube dir nicht.“
Er hob spöttisch eine Braue. „Dein Problem. Ich lüge nicht.“
Sie ließ es dabei bewenden. Was für einen Sinn hätte es, zu streiten?
Weitere Kostenlose Bücher