Backup - Roman
Vermutlich legte sie keinen großen Wert auf Woppel, weder bei sich noch bei anderen.
Als die Diskussion im Saal in unverminderter Lautstärke weiterging, nahm Dan Jeanine das Mikro aus der Hand. »Also bitte, Leute«, rief er, »könnt ihr unserem Gast nicht ein bisschen Respekt erweisen? Hallo, Leute!«
Nach und nach verebbte das Stimmengewirr und Dan gab Jeanine das Mikrofon zurück. »Hallo«, sagte sie noch einmal und zuckte unter dem Klang ihrer durch Lautsprecher verstärkten Stimme zusammen. »Ich heiße Jeanine. Ich bin diejenige, die vor einem Jahr Julius umgebracht hat. Dan hat mich damals darum gebeten, also hab ich’s getan, ohne nach Gründen zu fragen. Ich hab ihm vertraut – vertraue ihm immer noch. Er sagte mir, Julius werde ein paar Minuten, bevor ich ihn umbringen sollte, ein Backup anlegen. Er selbst, Dan, könne mich anschließend ohne Probleme aus dem Park schleusen. Die Sache tut mir sehr leid.« Jeanine hatte etwas Schräges an sich. Etwas Verschrobenes, Hölzernes an ihrer Haltung und ihren Worten verriet, dass sie gar nicht mit Leib und Seele bei der Sache, nicht mit allen Sinnen präsent war. Wer in den Bergen aufgewachsen ist, mag so etwas an sich haben. Ich sah kurz zu Lil hinüber, die die Lippen zusammenpresste. Vielleicht entwickelt man solche Züge, wenn man in einem Themenpark aufwächst, dachte ich.
»Danke, Jeanine.« Dan nahm ihr das Mikrofon wieder ab. »Du kannst dich jetzt setzen. – Ich
habe alles gesagt, was zu sagen ist. Julius und ich haben uns bereits privat ausgesprochen. Wenn noch jemand etwas sagen will…«
Er hatte es kaum ausgesprochen, als die Menge erneut in lautstarkes Geplapper und wildes Gestikulieren ausbrach. Jeanine, die neben mir saß, zuckte zusammen. Ich nahm sie bei der Hand und brüllte ihr ins Ohr: »Hast du schon mal die Piraten der Karibik besucht?«
Sie schüttelte den Kopf.
Ich stand auf und zog sie hoch. »Wird dir gefallen«, sagte ich und führte sie aus der Halle.
Zehn
Voller Hochgefühl über den neuen Woppel-Punktestand, den mir das Mitgefühl eingebracht hatte, reservierte ich uns Logenplätze im polynesischen Luau-Restaurant. Dan und ich tranken ein Dutzend Lapu-Lapus in ausgehöhlten Ananas, bevor wir den Versuch aufgaben, uns regelrecht zu besaufen.
Jeanine schaute sich mit Augen, groß wie Untertassen, die Feuertänze und die Fackelbeleuchtung an und nagte versonnen an den Schweinsrippchen, die sie in der Hand hielt, ohne einen Blick von der Showbühne zu lassen. Als der schnelle Hula getanzt wurde, hüpften ihre Augen so mit, dass ich lachen musste.
Von meinem Sitzplatz aus konnte ich die Stelle erkennen, wo ich in die Lagune der Sieben
Meere gewatet war und das blutwarme Wasser geschluckt hatte. Gegenüber, auf der anderen Seite der Lagune, sah ich Aschenputtels Schloss, sah die Einschienenbahn und die Fähren und Busse, die geschäftig durch den Park fuhren und wimmelnde Besuchermassen von einem Ort zum anderen beförderten. Dan prostete mir mit seiner Ananas zu, ich prostete zurück, trank aus und rülpste zufrieden.
Ein voller Magen, gute Freunde und die Abendröte hinter einer Truppe bunt kostümierter, halbnackter Hula-Tänzerinnen. Wer brauchte da noch die Bitchun Society?
Als es vorbei war, sahen wir uns vom Strand aus das Feuerwerk an und ich grub meine Zehen in den sauberen, weißen Sand. Dan ließ seine Hand in meine Linke gleiten, Jeanine nahm meine Rechte. Während der Himmel sich verdunkelte und die beleuchteten Barkassen durch die Nacht davon tuckerten, setzten wir drei uns in eine Hängematte.
Ich blickte über die Lagune der Sieben Meere hinaus, und mir wurde dabei klar, dass dies meine letzte Nacht in Walt Disney World war und auch für immer die letzte bleiben würde. Es wurde Zeit für einen Reboot; Zeit, noch einmal neu anzufangen. Dazu war ich auch in den Park gekommen, aber irgendwie hatte ich mich diesmal festgefahren. Dan hatte mich aus dem Dreck gezogen.
Unser Gespräch wandte sich Dans baldigem Tod zu.
»Also, erzählt mir, was ihr davon haltet«, sagte er und zog an seiner Zigarette.
»Das ist doch völliger Quatsch«, erwiderte ich.
»Ich überlege gerade. Warum sollte ich mir eigentlich eine tödliche Injektion verabreichen lassen? Gut, ich bin momentan vielleicht fertig mit der Welt, aber warum sollte ich eine unwiderrufliche Entscheidung fällen?«
»Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen? «, fragte ich.
»Ach, ich glaube, es war reines Macho-Getue. Einen endgültigen Strich
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