BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
vorstellen können.
Er entschied sich, Perpignan, seine Heimat, zu verlassen und mit dem Kind auf Wanderschaft zu gehen, bis sie irgendwo einen Ort fanden, wo sie sich, ohne Angst vor Verfolgung, niederlassen konnten.
Es war sicher, dass man ihm das Kind abnehmen würde, sobald die Öffentlichkeit von ihm erfuhr.
Selbst wenn die Eltern der Toten keine Ansprüche geltend gemacht hätten – der Obhut eines Mannes, den die meisten für einen zurückgebliebenen Trottel hielten, würde man ein kleines Mädchen unter keinen Umständen überlassen...
Das bösartige Tier trieb noch immer ungestraft sein Unwesen. Nicht mehr in der Stadt, aber doch in direkter Umgebung.
Jäger hatten in einem Gestrüpp die stark verweste Leiche eines seit Monaten vermissten Waldarbeiters gefunden, halb verscharrt unter Laub und Erde. Irgendetwas hatte ihm ganze Stücke seines Fleisches von den Knochen gerissen.
Der hinzu gerufene Arzt, der den Totenschein ausstellte, meinte, es handelte sich nicht nur um die Spuren eines Wolfs, obgleich auch sie zu finden waren. Aber die lange Zeit, die der Leichnam schon im Wald gelegen hatte, hatte noch anderes aasfressendes Getier angelockt. Man erzählte, der Tote sei voller Würmer, Maden und krabbelnder Käfer gewesen.
Da dies nicht der einzige Vermisste war, wurde mit Hunden und dressierten Schweinen, die sonst für die Trüffelsuche abgerichtet waren, nach weiteren Toten gesucht.
Gestern erst war ein neues Opfer entdeckt worden. Ein Riese von einem Kerl, der sich im Wirtshaus gebrüstet hatte, das verdammte Wolfsbiest ganz allein zur Strecke zu bringen – seither war er nicht mehr gesehen worden.
Schon lange vorher erzählte man von Bürgern der Stadt, die ausnahmslos bei Vollmond verschwunden oder nicht wieder heimgekehrt waren.
Auch die Krämerstochter, soviel wusste Pierre sicher, war in einer solchen Nacht getötet worden – und am Morgen danach hatte Rona vor seiner Tür gelegen.
Um dem Kind keine Angst zu machen, enthielt er ihm den Grund vor, warum es ausgerechnet dann, wenn die Nächte am hellsten waren, nicht draußen im Wald spielen durfte.
Verstanden hätte es ihn gewiss – Rona war ein aufgewecktes Kind mit schneller Auffassungsgabe –, aber sich auch gefürchtet.
Nein, sie mussten fort von hier. Je eher, desto besser!
Ich erinnere mich, wie wir das Haus bei Neumond verließen. Klammheimlich, zu tiefster Mitternacht. Ein Käuzchen schrie und folgte uns unsichtbar ein Wegstück, ehe es Beute fand und uns beide, Vater und mich, die wir Hand in Hand nebeneinander durch den Wald gingen, uns selbst überließ.
Ich war damals dreieinhalb. Und es war für mich ein großes Abenteuer. Der Hütte trauerte ich keine Sekunde nach, und der Stadt, die ich nicht kannte, erst recht nicht.
Vater hatte keinen Versuch unternommen, sein Hab und Gut zu verkaufen, um auf diese Weise etwas Startkapital für das Leben unterwegs oder anderswo zu erhalten. Damals wusste ich noch nicht, dass er Angst hatte, ins Gerede zu kommen. Dass man sich ihn und seinen Besitz sehr viel bewusster ansehen würde als je zuvor, und dass man Spuren
von mir
finden könnte...
Wir liefen die ganze Nacht, nur mit einem Sack auf Vaters Rücken, in den er etwas Proviant und Flickzeug gestopft hatte. An Kleidung brauchten wir nicht viel. Es war August, und selbst die Nächte waren warm.
Ich wunderte mich selbst über meine Ausdauer. Der Boden schien unter meinen Füßen hinweg zu fliegen, obwohl ich viel mehr Schritte machen musste als Vater. Ich glaube, ein wenig war es auch die Angst, die mich beflügelte. Angst vor dem Unbekannten.
Als ich dann irgendwann doch nicht mehr konnte, hob mich Vater auf die Schultern und hielt mich an den Beinen fest. Die schaukelnden Bewegungen hoch oben schläferten mich ein, und als ich morgens zu mir kam, kauerte ich noch immer dort, wo ich eingenickt war. Meine Wange lag auf Vaters Haar. Er lachte, als er merkte, dass ich aufgewacht war.
Der Wald lag hinter uns.
»Siehst du die Häuser dort unten?«
»Ja.« Sie schienen wie Adlerhorste am Fuß der Berge zu kleben. »Wo sind wir?«
Er lachte wieder. »Wenn ich das wüsste. Aber weit – weit von Zuhause.«
»Es tut dir leid, dass wir gegangen sind...«
»Mir tut nichts leid«, sagte er, »was uns zusammenhält.«
Solche Sachen sagte er häufig. Aber wenn ich ihn fragte, wie er es meinte, wich er aus.
Er zeigte noch einmal zu dem Dorf hinab. »Wenn ich Arbeit finde, werden wir dort ein paar Tage bleiben.«
»Und
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